Der Toyota Avensis ist eine graue Maus. Wenn man mich in zwei Wochen fragen wird, wie ich den Avensis empfunden habe, oder, was mir besonders gut gefallen hat, wird mir wahrscheinlich das schöne Blau als erstes einfallen. Ansonsten… Hmm, schwierig! Das klingt jetzt sehr negativ. Dabei ist der Avensis ein richtig gutes Auto. Sein «Problem» ist einfach, dass er unspektakulär ist und so in der Masse untergeht. Aber dass muss nicht schlecht sein, denn es gibt Leute, die wünschen sich genau so etwas. Einen unauffälligen, soliden, guten und preislich fairen Kombi.
Stichwort unauffällig. Der Avensis gehört glücklicherweise noch zu jenen Toyotas, die man anschauen kann, ohne gleich Augenkrebs zu bekommen (namentlich Prius und Mirai…). Er sieht sogar ganz hübsch aus mit seiner langen Linie, der kriegerischen Front mit bösem Blick und zurückhaltendem Heck. Vielleicht sollte Toyota noch eine Auspuffblende montieren, um das Heck ein bisschen aufzupeppen. Auch die dürre Dachantenne ist nicht gerade ein optischer Zugewinn, doch ansonsten kann sich der Avensis sehen lassen.
Auch beim Innenraum geht Toyota konventionelle Wege. Kein verschachteltes oder überladenes Design, sondern schlicht und übersichtlich. Das Infotainmentsystem ist zwar ganz neu und lässt sich gut bedienen, doch da alle Symbole und Schriften sehr gross sind, wirkt alles aufgebläht. Etwa so, als würde die Auflösung nicht stimmen. Aber das ist nur ein kleiner Schönheitsfehler. Ansonsten gefällt das dezent gestylte Interieur. Allerdings vibriert während der Fahrt irgendetwas an der Decke. Ich weiss nicht genau was, aber hin und wieder ist ein leises Störgeräusch zu vernehmen. Da wir uns in der Mittelklasse befinden, sollte dies eigentlich nicht sein. Als kleine Wiedergutmachung bietet der Avensis dafür Platz in Hülle und Fülle. Vorne, wie auch hinten sitzt es sich selbst für grosse Personen sehr angenehm, zudem bietet der Japaner zahlreiche Ablagemöglichkeiten. Der Kofferraum ist ein riesiger Schlund und da sich beim Umklappen der Sitze eine komplett ebene Ladefläche ergibt, könnte man notfalls auch einen Schlafsack hineinlegen und im Auto übernachten…
Der Avensis macht also einen auf solide und unter der Haube steckt auch ein solides Herz. Der 2,0-Liter Diesel stammt nämlich von BMW. Wie das? Nun, die Japaner und die Bayern führen eine gemeinsame Kooperation. Toyota verkauft nämlich global gesehen viel mehr Autos ausserhalb Europas, wo Dieselmotoren höchstens eine untergeordnete Rolle spielen. Anstatt also einen Haufen Geld in die Entwicklung eines eigenen Diesels zu stecken, haben die Japaner einen Deal mit BMW abgeschlossen. Da Toyota eine Klasse drunter spielt, kommen sich die beiden Partner auch nicht in die Quere.
Ich frage mich allerdings, ob Toyota an der Dämmung spart. Der Selbstzünder rasselt nämlich auch im warmen Zustand sehr deutlich und spart nicht mit Vibrationen. Möglicherweise ist der raue Motorlauf mitschuldig daran, dass es im Innenraum hin und wieder hörbar vom Dachhimmel her vibriert. Mit einem Benziner wäre wahrscheinlich Ruhe im Innern.
Doch dafür entschädigt der Diesel mit genügend Durchzug und einem angenehm zu schaltenden 6-Gang Getriebe. Präzise Wege, nicht zu weich, nicht zu hart. Zwar nicht so knackig wie bei Mazda, aber der Griff zum Schalthebel passt. In Puncto Fahrdynamik ist der Japaner wie in allen anderen Disziplinen auch: unauffällig. Er lässt sich treten und flott in die Kurve werfen, ohne, dass er sich gequält anfühlt oder man in der Kurve Angst bekommt, man fliegt demnächst ab. Dafür ist das ESP viel zu restriktiv, es regelt bereits dann, bevor die Situation kritisch werden könnte. Trotzdem ist genügend Kraft für ein Überholmanöver vorhanden und die Lenkung gibt gutes Feedback für ein sicheres Gefühl in den Kurven.
Doch so richtig in seinem Element ist der Avensis auf der Autobahn, wenn er Kilometer für Kilometer abspult und die Passagiere mit seinem gutmütigen Fahrwerk vor Schlägen verschont. Allerdings ist das Assistenzarsenal sehr dünn. Den nervig piepsenden Spurhalteassistenten hat man ziemlich schnell deaktiviert und ansonsten ist nichts vorhanden. Es wäre an der Zeit, dass Toyota einen adaptiven Tempomat und einen Tot-Winkel-Warner ins Angebot aufnimmt. In der Stadt steht dem Fahrer ein Notbremsassistent zur Seite, der allerdings bloss auf Fahrzeuge und nicht auf Fussgänger oder Velofahrer reagiert. Immerhin hat das System im Test nicht ein einziges Mal vergebens Alarm geschlagen. Trotzdem: Toyota muss aufpassen, aus technischer Sicht nicht den Anschluss zu verlieren. Die Technik ist nämlich vorhanden, bei Lexus sind diverse Systeme im Einsatz. Es wird an der Zeit, nicht bloss den Hybridantrieb, sondern auch die Fahrassistenz der tieferen Klasse verfügbar zu machen.
Der Toyota Avensis hat mich nicht vom Hocker gehauen. Aber, ehrlich gesagt, die wenigsten Autos schlagen bei mir ein wie eine Bombe. Viel wichtiger ist, dass ich dem Avensis kaum etwas ankreiden kann. Die Vibrationen im Innenraum sollten nicht sein, respektive der Diesel sollte besser gedämmt sein. Dann dürfte Toyota etwas spendabler sein und fortschrittliche Technik, die bei Lexus im Einsatz ist, auch den Kunden von Toyota zugänglich machen. Zu guter Letzt finde ich es seltsam, dass selbst in der höchsten Ausstattungslinie die Parksensoren extra kosten. Immerhin eine Rückfahrkamera ist serienmässig. Doch diese Kritik verblasst schnell beim Blick auf den Gesamtpreis. Der sehr fein ausstaffierte Testwagen kostet 43’910 Franken, los geht’s bereits bei 26’900 Franken. So gesehen bietet Toyota mit dem Avensis ein überzeugendes Gesamtpaket zu einem überaus fairen Preis an. Dennoch sieht man ihn auf unseren Strassen eher selten und er fristet ein Dasein als Underdog. Völlig zu Unrecht, wie ich finde…
Alltag
Viel Platz, viele Ablagen, komfortables Fahrwerk. Was braucht man mehr? Lediglich das eine oder andere zusätzliche Assistenzsystem würde dem Avensis gut stehen.
Fahrdynamik
Sportlich ist er nicht, aber man kann zügig mit ihm fahren, ohne, dass man ein schlechtes oder gar mulmiges Gefühl bekommt. Das ESP ist sehr restriktiv.
Umwelt
Angesichts der Grösse des Autos und der Leistung des Dieselmotors ist der Testverbrauch von 5,7 l/100 km ein sehr guter Wert.
Ausstrahlung
Vorne schick, hinten schlicht. Etwas mehr Pepp und eine Auspuffblende hinten sowie eine Haifisch-Antenne wären wünschenswert.
Fazit
+ Geräumiger Innenraum
+ Viele Ablagemöglichkeiten
+ Übersichtliches und hochwertiges Interieur
+ Tiefer Verbrauch
+ Präzise Schaltung
+ LED-Licht
+ Komfortables Fahrwerk
+ Gute Übersicht
+ Einwandfreie Ergonomie, bequeme Sitze
+ Fairer Preis
– Rauer Motorlauf
– Kaum Assistenzsysteme verfügbar
– Vibrationen im Innenraum
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell Toyota Avensis Touring Sports Preis Basismodell / Testwagen 26 900 CHF / 43 910 CHF Antrieb Diesel, Frontantrieb Hubraum / Zylinder 1995 ccm / R4 Motoranordnung / Motorkonzept Frontmotor / Turbomotor Getriebe 6-Gang manuell Max. Leistung 105 kW bei 4000 r/min Max. Drehmoment 320 Nm bei 1750 - 2500 r/min Beschleunigung 0–100 km/h 9,8 s Vmax 200 km/h NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz 4,8 l/100 km / 124 g/km / B Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz 5,7 l/100 km / 147 g/km / +19% Länge / Breite / Höhe 4,82 m / 1,81 m / 1,48 m Leergewicht 1626 kg Kofferraumvolumen 543 - 1609 l
(Bilder: Koray Adigüzel)
1 thought on “Unterschätzter Underdog: Toyota Avensis”