Unter der Haube meines Testwagens lauert – abgesehen vom Plug-in Hybrid – der stärkste Antrieb, ein 235 kW Benziner. Das weiss ich bereits, bevor ich das Auto in Empfang nehme. Trotzdem bin ich keineswegs auf Raserei eingestimmt. Der Volvo XC90 ist ein auf Wolken schwebender Hochsicherheitstrakt. Die Schweden setzen ausserdem zwei Ausrufezeichen: Eines beim Design und eines bei der Technik. Insgesamt setze auch ich bei der Bewertung des XC90 ein Ausrufezeichen, denn das Auto ist fantastisch. Nichtsdestotrotz sehe ich mich gezwungen, eine leise Kritik in den Raum zu stellen…
Beim Aussendesign bleibt die grosse Revolution aus. Die Front ziert das neue Markengesicht, welches jedes kommende Volvo-Modell auszeichnen wird. So ganz nebenbei haben die Schweden auch ihr Logo geliftet. Haupterkennungsmerkmal vom XC90 sind die Voll-LED-Scheinwerfer, deren Tagfahrlicht Thor’s Hammer darstellen soll. Unglücklicherweise setzt Audi beim A6 und A7 auf ein sehr ähnliches Muster. Offen ist, wer bei wem kopiert hat…
Während der XC90 von vorne äusserst markant und entschlossen wirkt, sind die Seitenlinie und die Heckansicht sehr zurückhaltend designt. Nach wie vor erkennt man Volvo’s von hinten an den grossen, senkrecht stehenden Rücklichter, die beim XC90 filigran wirken. Insgesamt wirkt der XC90 trotz seiner Grösse nicht protzig, sondern auf eine zurückhaltende Weise schön und markant. Wer will, dass der XC90 optisch schreit, muss das R-Design Paket wählen. Dem R-Design Paket ist nämlich ab Werk eine Matt-Folierung in Blau vorbehalten. Das wirkt dann zwar etwas reisserisch, aber ich muss zugeben, mir gefällt’s…
Doch der wahre Wow-Effekt stellt sich bei mir ein, als ich den XC90 erklimmt und auf dem Fahrersitz Platz genommen habe. Liebe Schweden: Bald werde ich von zu Hause ausziehen. Wer auch immer das Interieur vom XC90 designt hat, könnte er oder sie meine zukünftige Wohnung ebenfalls designen? Das wäre klasse. Ich kann es kaum in Worte fassen, aber ich glaube, ich habe noch nie einen dermassen schönen und behaglichen Innenraum gesehen. Schwedisches Leder mixt sich mit Walnussholz. Diese Kombination sieht nicht nur extrem edel aus, es fühlt sich auch verdammt hochwertig an.
In der Mitte dominiert der Tablet-ähnliche Touchscreen vom Infotainmentsystem, worüber auch verschiedenste Fahrzeug-Funktionen gesteuert werden. Die Bedienung ist vom iPad inspiriert und somit kinderleicht. Und ganz nebenbei wirkt auch der Touchscreen enorm hochwertig. Die Instrumente sind natürlich voll-digital, etwas anderes habe ich auch gar nicht erwartet. Doch die Entdeckungsreise ist noch nicht vorbei. Vor dem konventionellen Automatik-Wählhebel findet sich der schönste und coolste Zündschalter in Diamant-Optik. Wahre Liebe zum Detail, genauso wie die Schwedische Flagge, welche in die Sitze eingenäht ist.
Überhaupt die Sitze. Der Vorteil meiner Couch ist zwar, dass ich mich auf ihr ausstrecken kann, aber ansonsten hat sie keinen Stich gegen die XC90-Sitze. Sie sind auf unzählige Arten verstellbar, stützen perfekt, können heizen, kühlen und massieren. Auch in der zweiten Reihe sitzt man fürstlich, optional kann man den XC90 auch als 7-Plätzer ordern. Ich bin nicht dazu gekommen (Begründung am Ende des Posts), die hintersten Sitze unter die Lupe zu nehmen, bezweifle jedoch, dass Erwachsene dort artgerecht sitzen können. Aber was interessieren mich als Fahrer die hintersten Plätze? Das Schwedische Interieur hat völlig zu Recht einen Design Award eingeheimst. Noch selten habe ich mich in einem Auto so wohl gefühlt wie im XC90.
Leider habe ich den XC90 nicht besonders lange geniessen können. Ich sage bewusst geniessen, denn jede Fahrt mit dem grossen SUV ist ein Genuss. Einerseits sind es die grandiosen Sitze und die perfekte Ergonomie, die das Wohlbefinden an Bord massiv beeinflussen. Akustisch verwöhnt mich der XC90 mit der bombastischen Bowers & Wilkins Soundanlage. Die Anlage ist an Qualität kaum zu überbieten, lediglich die High-End Systeme von Burmester (Mercedes), Meridian (Range Rover) und Mark Levinson (Lexus) können da noch mithalten. Bose, Harman/Kardon? Ein Dreck dagegen. Als Gimmick kann man als Soundeffekt die Göteborger Konzerthalle einstellen.
Weiter hat Volvo endlich begonnen, seine Autos mit einem handlichen Lenkrad auszustatten. Das macht den XC90 zwar nicht handlicher, aber es fühlt sich trotzdem besser an, wenn man nicht an einem Riesenteil herumkurbeln muss. Und zu guter Letzt ist es einfach die Fahrweise vom XC90. Flüsterleise gleite ich dahin, fühle mich tiefentspannt und vor allem sicher. Der XC90 ist dermassen mit Assistenz vollgepackt, dass ich euch die Auflistung erspare. Es ist einfach alles Bord, was heute technisch machbar ist. Bis Tempo 50 soll er teilautonom in einer Kolonne fahren können (konnte ich nicht testen), ausserdem erkennt er sogar auf einer Kreuzung eine potentielle Kollision und kann eine autonome Bremsung durchführen.
Darüber hinaus sind sogar die Sitze so konstruiert, dass sie im Falle eines Unfalls möglichst viel Energie absorbieren. Grundsätzlich startet der XC90 im Komfort Modus, dessen oberstes Ziel es ist, möglichst viele störende Einflüsse von den Insassen fernzuhalten. Das Luftfahrwerk federt so ziemlich alles weg, was sich ihm in den Weg stellt, trotz 21-Zoll Bereifung. Im Dynamic Modus wird das Auto verbindlicher, das Luftfahrwerk senkt sich um zwei Zentimeter und ich staune ab dem extrem direkten Ansprechverhalten des neu entwickelten Triebwerks. Obwohl sich Wankbewegungen in Grenzen halten und die Lenkung durch ihre Direktheit ein gutes Gefühl vermittelt, fühlt sich der XC90 nicht sportlich an. 235 kW hin oder her, es sind halt 2125 Kilo, die beschleunigt werden müssen. Ausserdem klingt der Top-Benziner unter Last wie ein rasender Rasenmäher. Echt schlimm, am Sound muss Volvo unbedingt noch arbeiten. Und nun kommen wir zum Punkt Emotionen.
Leider hatte mein XC90 Testwagen technische Probleme und ich bekam einen Polestar als Ersatzwagen. Klar, es handelt sich beim Polestar um ein Werkstuning, aber der T6-Motor vom XC90 ist der Nachfolger vom Polestar T6. Rasenmäher vs. röhrender Hirsch, wenn ihr versteht, was ich meine. Wo bleiben die Emotionen, wenn Volvo sich komplett dem Downsizing verschreibt? Kann ein 331 kW starker, 2,0-Liter Vierzylinder, den Volvo angeblich für zukünftige Polestar Modelle entwickelt, dieselben Emotionen wie der bisherige Polestar beschwören? Ich weiss nicht so recht… Vor allem sollte das Downsizing den Verbrauch senken und der Bordcomputer meldete beim XC90 stets zweistellige Verbrauchswerte, daher… Ich bin diesbezüglich noch ein wenig skeptisch.
Abgesehen vom miesen Sound und dem zu hohen Verbrauch kann ich dem XC90 nichts ankreiden. Über die technischen Probleme sehe ich jetzt einfach mal grosszügig hinweg. Da der XC90 jedoch selbst mit dem Top-Benziner nichts mit Performance am Hut hat, empfehle ich einen Dieselmotor. Der verbraucht weniger und dort sind die Anforderungen an den Sound auch nicht wirklich vorhanden. Um es am Schluss noch einmal klar zu stellen: Der XC90 fährt ganz klar in der Oberklasse, der Testwagen knackt locker die 100’000 Franken-Grenze. Volvo orientiert sich allerdings an den Preisen der Konkurrenz und ich muss sagen, dass der XC90 zwar teuer, aber nicht überteuert ist. Ich persönlich würde mich jedenfalls gerne über ein Wiedersehen freuen, deshalb werde ich schauen, dass ich 2016 einen Plug-in Hybrid auftreiben kann, auch, um die Fahreindrücke zu vertiefen. Und wer weiss, vielleicht hat sich beim Plug-in Hybrid (da Modelljahr 2016) schon etwas beim Sound getan…
Alltag
Wenn ich könnte, würde ich wahrscheinlich meine Wohnung gegen den XC90 tauschen. Noch selten hat ein praktisches Auto innen so dermassen schön ausgesehen. Zwar ist der XC90 komplett neu, aber eine Schwäche konnten die Schweden nicht ausmerzen: Volvo’s haben nach wie vor einen riesigen Wendekreis.
Fahrdynamik
Mal abgesehen vom fürchterlichen Sound geht der XC90 ziemlich ordentlich vorwärts. Angesichts seiner Grösse und dem Gewicht ist sein Handling gut, obwohl ich es nicht als agil bezeichnen würde. Sagen wir es so: Es geht sportlich, wenn es denn sein muss. Aber eigentlich ist der XC90 eher ein Sportmuffel.
Umwelt
Ok, es gibt natürlich umweltfreundlichere Motorisierungen als der T6 Top-Benziner. Aber wenn konsequent auf Downsizing gesetzt wird, der Verbrauch jedoch trotzdem bei über zehn Litern liegt, dann geht die Rechnung meiner Meinung nach nicht auf.
Ausstrahlung
Der Volvo XC90 ist aussen schön, nicht zu markant, aber auch nicht zu zurückhaltend. Innen ist er einfach nur ein Traum. Dieses Auto ist eine fahrende Lounge.
Fazit
+ Schönes Aussendesign
+ Traumhaftes Interieurdesign
+ Perfekte Ergonomie
+ Superbequeme Sitze
+ Viel Platz
+ Bombastisches Soundsystem
+ Unauffälliges Automatikgetriebe
+ Riesige Assistenzarmada
+ Extrem hochwertige Materialien, piekfeine Verarbeitung
+ Erstklassiges Infotainmentsystem
+ Hoher Fahrkomfort
+ Direktes Ansprechverhalten
+ Klasse Geräuschdämmung
+ Präzise Lenkung
– Hoher Verbrauch
– Mieser Motorsound
– Grosser Wendekreis
– Keine Schaltwippen am Lenkrad
Mängel am Testwagen
– Alarmanlage ist ausgefallen
– Airbag-Warnmeldung leuchtete rot (ein Gurtstraffer war defekt); in der Folge musste der Test zwecks Werkstatt-Aufenthalt abgebrochen werden
Steckbrief
Marke / Modell Volvo XC90 Preis Basismodell / Testwagen 66 800 CHF / 109 405 CHF Antrieb Benzin, Allradantrieb Hubraum / Zylinder 1969 ccm / R4 Motoranordnung / Motorkonzept Frontmotor / Turbo-Kompressormotor Getriebe 8-Gang Automatikgetriebe Max. Leistung 235 kW bei 5700 r/min Max. Drehmoment 400 Nm bei 2200 - 4500 r/min Beschleunigung 0–100 km/h 6,5 s Vmax 230 km/h NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz 8,0 l/100 km / 186 g/km / F Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz (Gemäss Bordcomputer) 10,5 l/100 km / 244 g/km / +31% Länge / Breite / Höhe 4,95 m / 1,96 m / 1,78 m Leergewicht 2125 kg Kofferraumvolumen (7-, 5-, 2-Plätzer) 314 l / 692 l / 1868 l
(Bilder: Volvo)
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