Eines sei vorweggenommen: Man kann dem Golf R wahrlich nicht vorwerfen, irgendetwas schlecht zu machen. Doch man muss sich auch damit abfinden, dass der Golf R in diesem Leben keine Emotionsgranate mehr wird – es sei denn, es kommt zum Abschied tatsächlich noch der R400 mit dem Fünfzylinder. Doch so, wie er jetzt dasteht, wird niemandem warm ums Herz, wenn man einsteigt. Das heisst jedoch nicht, dass er nicht ordentlich Dampf ablassen kann. Es ist nur eine Frage des Charakters – und wenn man sich auf Schweizer Strassen so umschaut, dann gibt es viele, die den milden statt wilden Charakter des Golf R mögen.
Schon optisch gehört der R nicht zur Sorte, welche die Muskeln spielen lassen. Der Grill an der Front erinnert zwar an den Motorsport, rundum verfügen die Schürzen über dezente Anbauteile in Hochglanzschwarz, die Bodenfreiheit ist gegenüber einem zivilen Golf deutlich geringer. Wer sich für Autos interessiert, wird den R sofort erkennen, wer hingegen wenig von der Materie versteht, dürfte nur beim Anblick des Hecks mit den vier Rohren zweifelsfrei feststellen, dass man diesen Golf besser nicht provoziert.
Im Zuge des Facelifts wurde der Golf modernisiert, erhielt ein Infotainmentsystem mit Gestensteuerung sowie ein digitales Cockpit. Doch, mit Verlaub: Wenn man einsteigt, und alle Bildschirme noch dunkel sind, dann wirkt das sehr konservativ gestaltete Cockpit des Golfs mittlerweile doch etwas angestaubt. Die Sitze passen dafür wie angegossen und auch hinten sitzt man dank nicht abfallendem Dach sehr ordentlich. Ordentlich, aber auch nicht mehr, ist die Aufmachung des Interieurs. Die verwendeten Materialien schmeicheln nicht überall und angesichts des Preisschildes, dass der Golf R mit sich herum trägt, dürfte man meiner Meinung nach schon mehr erwarten.
Die «Digitalisierung» wie VW sie nennt, kann man sich übrigens getrost schenken. Das digitale Cockpit sieht zwar hübsch aus, aber die Darstellung ist bei weitem nicht so praktisch und liebevoll gestaltet wie bei Audi. Beim neuen Polo hat VW nachgezogen, aber beim Golf R verpasst man nichts, wenn man bei den klassischen Instrumenten bleibt. Das teure Discover Pro Navi mit Gestensteuerung lässt man auch lieber bleiben und greift stattdessen zum mittleren Discover Media.
Bereits dieses verfügt über Car-Net und Smartphone-Integration – und über einen Lautstärkeregler! Das Discover Pro kommt nur noch mit Sensortasten und einer absolut unbrauchbaren Gestensteuerung aus. Ohne YouTube-Tutorial lernt man gar nicht, welche Gesten das System überhaupt versteht und selbst wenn man die auf YouTube gelernten Gesten anwenden möchte, zeigt sich das System schwer von Begriff. Das führt dazu, dass das Ablenkungspotenzial auf der Strasse gigantisch ist. Puncto Gestensteuerung ist noch verdammt viel Luft nach oben und wir werden in den kommenden Jahren wohl einiges erleben – aber noch ist die Zeit nicht reif dafür, wie der Golf wenig eindrücklich zeigt.
Nichts zu motzen gibt es dafür beim Fahrverhalten, der Kerndomäne des Golf R. Im Gegensatz zu anderen Hot Hatches vom Schlage eines Focus RS oder Mégane R.S. ist der Golf R in erster Linie – nun ja, ein Golf eben. Das heisst, dass er einen nicht ständig verleitet, schneller, aggressiver oder wilder zu fahren, als es unbedingt nötig ist. Im Normal Modus ist er weder besonders straff, noch besonders gierig bei der Gasannahme. Dieses unkomplizierte und neutrale Verhalten ist es, was vielen anderen, überzüchteten Kompaktwagen fehlt.
Einen Absatz möchte ich dem siebten Gang des neuen DSGs widmen. Keine Sorge, nicht weil ich detailverliebt bin, sondern weil der Golf R dadurch endlich auch auf der Autobahn erträglich wird. Grund: Nach wie vor wütet (ich kann es gar nicht anders nennen) ein Sound Symposer im Innenraum, der künstlichen Motorsound der übelsten Sorte generiert. Dessen Intensität hängt vom Drehzahlniveau und dem Fahrmodus ab. Dank des siebten Ganges dreht der Motor auf der Autobahn weniger – der Sound Symposer ist kaum noch hörbar. Tipp: Im Individual Modus kann der Motorsound (damit ist der Sound Symposer gemeint) auf Comfort eingestellt werden, was die Intensität ebenfalls zurückschraubt. Aber ernsthaft: Jemand sollte in Wolfsburg endlich mal kapieren, dass solch künstliches Getue nicht cool, sondern schlicht peinlich ist.
Denn künstliche Hilfe hat der Golf R trotz eher mässig aufregendem Motorsound nicht nötig. Wenn es sein muss, wird aus dem Oberstreber nämlich ein ernst zu nehmendes Sportgerät. Der Motor mit einfacher Turboaufladung kommt zwar insbesondere mit dem DSG nur mit Mühe in Schwung, ab etwa 2500 Umdrehungen wird aber unerbittlich angeschoben, auch locker über die 6000er-Grenze hinaus. Dabei gefällt das DSG mit ausgeklügelter Logik, hält in Kurven die Gänge, schaltet je nach Bremsintensität mehrere Gänge runter und hält bergab vornehmlich die tieferen Gänge zwecks Motorbremsung.
Trotz seiner Kopflastigkeit und ohne Torque Vectoring weiss der Golf R in Kurven zu überzeugen. Besonders gut gefällt die sehr direkt übersetzte Lenkung mit weniger als einer Umdrehung von der Mittelstellung zum Anschlag. Ohne Traktionsmühen geht der Golf sowohl durch weite, als auch enge Kurven. Seit dem Facelift kann er ausserdem ab Werk noch weiter geschärft werden. Auf der Aufpreisliste stehen nämlich eine Titan-Auspuffanlage von Akrapovič sowie ein Performance-Paket, welches einen grösseren Dachspoiler, gelochte Bremsscheiben vorne, Semi-Slicks sowie eine Vmax-Aufhebung (267 km/h) beinhaltet. Unterschätzen sollte man den Golf R fahrdynamisch so oder so auf keinen Fall. Er ist im Alltagstrott wie ein schlafender Hund – der jedoch nicht nur blitzschnell reagieren, sondern auch ordentlich zubeissen kann!
Dem Testwagen waren die besonders bissigen Goodies leider vorbehalten – allerdings hat der Spass ohnehin seinen Preis. Der Testwagen kostet bereits 64’270 Franken. Akrapovič und Performance-Paket würden gleich nochmals mit 3600, respektive 2600 Franken zu Buche schlagen. Macht insgesamt rund 70’500 Franken für einen Golf. Einverstanden, es muss nicht gleich die volle Hütte sein, aber allgemein ist der Golf R ziemlich teuer. Er rechtfertigt diesen Preis zwar mit Fahrverhalten auf sehr hohem Niveau, jedoch nicht mit dem einfach gehaltenen Interieur, dessen digitale Welt nicht viel mehr als Spielerei ist.
Alltag
Dass der Golf R aufgrund des Allradantriebs etwas weniger Kofferraumvolumen bereitstellt, dürfte kaum jemanden stören. Im Grunde ist der R ein ganz normaler Kompakter mit überschaubarem Wendekreis, guter Übersicht und ganz passablem Raumangebot im Fond.
Fahrdynamik
Wehe dem, der den R unterschätzt. Wird er von der Leine gelassen, offenbart sich sein Potenzial. Druckvoller Schub bis an den Begrenzer und ein äusserst agiles Handling zeichnen ihn aus. Mit dem Performance-Paket lässt sich seine Fahrdynamik noch weiter steigern!
Umwelt
8,0 l/100 km sind für ein sportliches Auto völlig in Ordnung. Das Vorfacelift-Modell schluckte als Variant im Test geschlagene 9,8 l/100 km, ohne dass die Fahrweise eine völlig andere war. Insofern kann sich der Verbrauch vom neuen Golf R sehen lassen.
Ausstrahlung
Er ist kein Eyecatcher, aber sein Design kommt ganz gut an, weil es harmonisch und nicht überzeichnet ist. Die Farbe Lapiz Blue steht ihm ausserdem ausgezeichnet.
Fazit
+ Gefälliges Design
+ Gute Übersicht
+ Sehr bequeme Sportsitze
+ Gutes Raumangebot im Fond
+ Druckvoller Motor
+ Grosse Spreizung des Adaptivfahrwerks
+ Sehr agiles und direktes Handling
+ Dreistufig deaktivierbares ESP
+ Optionales Performance-Paket erhältlich
+ Sehr viele Assistenzsysteme verfügbar
+ Akzeptabler Verbrauch
– Hoher Preis
– Interieurgestaltung und Materialien nicht immer dem Preis entsprechend
– Unbrauchbare Gestensteuerung
– Sehr künstlicher Sound Symposer im Innenraum
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | VW Golf R |
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Preis Basismodell / Testwagen | 50 200 CHF / 64 270 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1984 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Leistung | 228 kW bei 5500 - 6500 r/min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 2000 - 5400 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,6 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 7,1 l/100 km / 163 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 8,0 l/100 km / 184 g/km / +13% |
Länge / Breite / Höhe | 4,26 m / 1,79 m / 1,46 m |
Leergewicht | 1589 kg |
Kofferraumvolumen | 343 - 1233 l |
Bilder: Koray Adigüzel