Der VW Golf R hat sich schon immer einer besonderen Beliebtheit erfreut. Vor allem in der Schweiz, wo das Geld locker sitzt und Allradantrieb gefragt ist, hatte das Wolfsburger Performance-Modell schon immer einen leichten Stand. Die Kombination aus viel Leistung, Understatement und uneingeschränkter Alltagstauglichkeit sind starke Argumente. Am Grundrezept hat sich bei der achten Generation nichts verändert. Doch tief unter dem Blech hat VW massiv geschraubt – und am Preis.
Der Golf R trägt den Nerz nach innen. EIn tiefblauer Kompaktwagen, könnte man auf den ersten Blick meinen. Ein echter Sleeper. Die blauen Bremszangen sowie die gelochten, üppig dimensionierten Bremsscheiben laufen unter Understatement. Der Testwagen ist mit der optionalen Titanabgasanlage sowie dem Performance-Paket mit gross dimensioniertem Dachspoiler ausgestattet, was dem Wagen mehr optische Präsenz verleiht. Doch ansonsten: Ein Golf, adrett und unaufdringlich.

Dezente Sportlichkeit, furchtbare Bedienung
Auch im Cockpit ist der Golf R nur minimal angepasst. Am offensichtlichsten sind die schicken schwarz-blauen Sportsitze mit eingesticktem R-Logo, obwohl es angesichts des Preises und der Performance meiner Meinung nach auch Voll-Schalensitze sein dürften. Weiter gibt es Zierelemente im Carbon-Look, welche sich beim Anfassen aber als mässig hochwertiger Kunststoff entpuppen. Generell ist die Haptik im Golf R eher unterdurchschnittlich. Nicht zu verwechseln mit der sehr guten Verarbeitungsqualität, aber Ambiente und Materialien sind dem Preis nicht angemessen.

Ah ja, die wahrscheinlich schon 145’678 mal kritisierte Bedienung im VW Golf 8. Sie ist auch im R schlecht, nein, sie ist im R sogar noch schlechter. Es kommen erst mal die üblichen Verdächtigen wie unpraktische Touch-Tasten und Slider, träge Reaktionszeiten und sogar ein Absturz. Dann das Tüpfchen auf dem i: Um das ESP einzustellen sind fünf (!) Tipps auf den Touchscreen erforderlich. In einem Sport-Modell. Ein absoluter Schwachsinn.

Weiter geht’s zum Lenkrad, wo sich auch keine echten Tasten mehr befinden sondern Panels mit Druckpunkten. Diese reagieren aber mitunter ziemlich sensibel, sodass man beim sportlichen Fahren gerne mal aus Versehen die Lenkradheizung aktiviert oder via R-Taste am Lenkrad wieder zurück in den Comfort-Modus wechselt. Es ist mir wirklich schleierhaft, wie man trotz Abertausenden von Entwicklungs- und Testkilometern an so einer Lösung festhaltet. Aber sei’s drum, ich möchte nur betonen, dass man puncto Bedienung nach wie vor grosse Defizite in Kauf nehmen muss.

Spagat erfüllt
Die Mehrheit der Fahrzeit wird selbst in einem Golf R eher gelassen ablaufen (dann stört auch die Bedienung weniger). Und auch das kann er besser als sein Vorgänger. Die Progressivlenkung ist um die Mitte herum sehr weich, sodass der Wagen nicht zu hektisch lenkt. Die Dämpfer des Adaptivfahrwerks lassen sich fast schon kuschlig weich einstellen und der furchtbare Sound Symposer des Vorgängers ist hier viel dezenter und lässt sich sogar komplett deaktivieren. Da wird die Fahrt zur Arbeit oder zum nächsten Pass ganz entspannend!

Mehr R denn je
Die Motor-Getriebe-Kombination ist bekannt und wurde leicht weiterentwickelt. Der Zweiliter-Turbo generiert nun 420 Nm und 235 kW, das perfektionierte DSG arbeitet flink und ohne nennenswerte Anfahrschwäche. Eine Handschaltung ist leider nicht im Angebot, aber nur in Europa: Dass der Golf 8 R in den USA sehr wohl mit Handschaltung angeboten wird, wird hier nicht an die grosse Glocke gehängt. Aber sei’s drum, das Sahnestück ist ohnehin der neue, hecklastigere Allradantrieb mit Torque Vectoring an der Hinterachse.

Das sehr gemütliche, aber etwas fade Wesen legt der Golf im Race-Modus ab. Mit gestrafftem Fahrwerk und mehr Widerstand in der Lenkung wird der R deutlich fahraktiver. Ist das kleine Leistungsloch unterhalb von 2200 Touren überwunden, schiebt der Motor ordentlich an und steigert sich kontinuierlich bis voll an den Begrenzer! Der Sound aus der optionalen und über 4000 Franken teuren Akrapovič-Anlage ist zwar nicht sonderlich laut, aber schön kernig. Dafür schiesst die Titananlage völlig willkürrlich Auspuffknaller in die Umwelt, was immer wieder für ein Grinsen sorgt.

War der Golf R bislang beim Rausbeschleunigen aus der Kurve neutral bis leicht untersteuernd, so schickt der Golf 8 R mehr Kraft nach hinten und zwar ans kurvenäussere Rad. So drückt der wilde Golf einen spürbar mit dem Heck aus der Kurve, bleibt dabei aber stabil wie das sprichwörtliche Brett auf der Strasse. Um das Torque Vectoring aber besonders gut zu spüren zu bekommen, muss das ESP in den Sport-Modus gestellt werden. Im Standard-Modus regelt es für Golf R Verhältnisse ziemlich restriktiv.

Und ja, der Golf R kann im Drift-Modus wirklich driften, das belegen zahlreiche Youtube-Videos, sodass ich es nicht getestet habe. Obwohl das ESP auch im Drift-Modus über den Fahrer wacht und versucht, Dreher zu verhindern, ist auf der Strasse der Platz sehr schnell sehr knapp. Sucht euch darum einen grossen Parkplatz, spielt herum und lasst euch nicht von der Polizei erwischen…

Special als Geheimwaffe
Besagter Drift-Modus sowie der sogenannte Special-Modus sind übrigens Teil des optionalen Performance-Pakets. Im Special-Modus ist der Golf R für die Nordschleife spezialisiert, das heisst: Maximale Aggressivität mit nicht ganz so harten Dämpfern wie im Race-Modus. Für die meisten Passstrassen mit teils welligen Strassen somit der perfekte Fahrmodus! Allerdings ist die Schaltstrategie in diesem Modus derart aggressiv, dass sich das manuelle Schalten empfiehlt. Dies ist auch der einzige Fahrmodus, in welchem der Golf R die Kontrolle beim Schalten abgibt und nicht automatisch hochschaltet.

Freunde des gepflegten Fahrens, allerspätestens in diesem Fahrmodus legt der Golf R seine Contenance ab. Das Ansprechverhalten wird so heftig, dass der Wagen beim kleinsten Gastippser einen kleinen Satz nach vorne macht, umgekehrt ist auch die Gaswegnahme genauso heftig. Maximale Präzision wird hier gross geschrieben. Da der Motor im letzten Drehzahlbereich nochmal voll aufblüht kann es im Eifer des Gefechts mal passieren, dass man einen Sekundenbruchteil zu spät am Paddel zieht. Dann wird aber nicht einfach die Leistung gedrosselt, nein, der Motor hämmert in den Begrenzer, der nächste Gang wird mit einem heftigen Schlag eingeworfen und wenn die Stimmung besonders schlecht ist, haut auch noch die Auspuffanlage einen ordentlichen Knall raus. Man bekommt also gleich auf einigen Ebenen zu spüren, dass man den Schaltvorgang verpennt hat.

Im Special-Modus verschmilzt man immer mehr mit dem Golf R und geniesst eine Performance sowie ein Feedback, welches man so definitiv noch nie in einem Golf R hatte. Das Ganze gipfelte in einer wahren Benzinorgie, die seinesgleichen sucht: Den Pass hoch, runter, gleich wieder hoch und nochmal runter. Dabei wurde der Wagen so extrem sportlich gefahren, dass sich irgendwann sämtliche Assistenzsysteme mit einer Warnung verabschiedeten und vier rote Warnleuchten im Cockpit prangten. Aber: Alle fahrdynamisch relevanten Systeme und auch die Bremse machten bis zum Schluss mit, thermische Probleme traten ebenfalls nicht auf. Nach einem Motor-Restart waren die Assistenten dann auch wieder zurück.

Der Preis ist nicht heiss
Ich betone das deshalb so, weil diese doppelte Pässefahrt von der Belastung her nicht weit von der Rennstrecke entfernt war. Die unbeugsame Ausdauer gepaart mit der Präzision und Performance machen aus dem Golf R nicht einfach nur einen schnellen Golf, sondern einen waschechten Sportwagen. Es ist sehr gut möglich, dass diese reine Benzinmaschine die letzte seiner Art ist und sie trifft vollkommen den Nerv eines jeden Petrolheads. Es erweckt den Anschein, dass dieses Auto von Enthusiasten für Enthusiasten gebaut wurde. Leider schlägt sich diese geballte Performance im Preis nieder. Etwaige Boni und Rabatte ausser Acht gelassen, kostet der voll ausgestattete Golf 8 R 80’000 Franken. Da dürfte manch ein Fan wehmütig werden…

Alltag 
Der Golf R beherbergt vier Passagiere oder Grosseinkäufe und Ferien zu zwei problemlos, obwohl der Platz in der zweiten Reihe vom Platz her nicht überragend ist. Die Übersicht ist gut, der Wendekreis schlecht. Wer mehr Platz benötigt, kann zum Variant greifen.
Fahrdynamik 
Der neue, heckbetonte Allradantrieb macht extrem viel aus. So agil und willig tänzelte ein Golf noch nie um Kurven. Grip und Stabilität sind immens, die Bremsleistung ebenfalls. Der bekannte Zweiliter-Turbo macht im gesamten Drehzahlband ordentlich Druck, das Getriebe schaltet unspürbar schnell. Und wer auf dem Parkplatz imponieren oder es wirklich wissen will, kann sogar den Drift-Mode aktivieren.
Umwelt 
Von Elektrifizierung oder Spritspartechnik ist beim Golf R nichts an Bord und weil somit auch nichts die Performance kompromittiert, ist das für ein dediziertes Sport-Modell trotz Test-Verbrauch von 9,5 l/100 km in Ordnung. Hybrid- und E-Alternativen gibt es vom Golf genügende. Wird der Golf R zahm bewegt, pendelt sich der Verbrauch bei rund 7,5 l/100 km ein.
Ausstrahlung 
Der Golf R bleibt sich optisch treu. Wilde Design-Elemente sind ihm fremd, dennoch schafft er es, sportlich aufzutreten.
Fazit 
+ Dezent-sportliches Design
+ Perfekte Ergonomie Sportsitze mit starkem Halt, Heizung und Lüftung inklusive bei Lederausstattung
+ Personalisierbares Digital-Cockpit, HUD optional
+ Grosse Spreizung der Fahrmodi und des adaptiven Fahrwerks
+ Druckvoller Motor, kerniger Sound mit optionaler Titan-Abgasanlage
+ Sehr schnelles und treffend schaltendes Getriebe
+ Heckbetonter Allradantrieb mit Torque Vectoring an der Hinterachse
+ Progressive Lenkung mit starkem Feedback
+ Grip und Stabilität auf sehr hohem Niveau
+ Gut dosierbare, kräftige Bremsanlage
+ Hervorragendes Matrix-Licht
+ Grosses und zuverlässiges Assistenzpaket
– Verschachteltes Infotainmentsystem, grottenschlechte Bedienung
– Hoher Preis
– Grosser Wendekreis
– Teilweise einfache Materialien
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | VW Golf 8 R |
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Preis Basismodell / Testwagen | 61 200 CHF / 80 230 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1984 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Leistung | 235 kW bei 5350 r/min |
Max. Drehmoment | 420 Nm bei 2100 - 5350 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,7 s |
Vmax | 270 km/h (optional, elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 8,3 l/100 km / 188 g/km / F |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 9,5 l/100 km / 215 g/km / 13% |
Länge / Breite / Höhe | 4,29 m / 1,79 m / 1,48 m |
Leergewicht | 1619 kg |
Kofferraumvolumen | 381 - 1237 l |

























Hallo,
Danke für diesen tollen und umfangreichen Beitrag!
Golfs sind einige meiner Lieblingsautos aller Zeiten. Seit 1995 hatte ich insgesamt 3 Golfs (Golf 2, Golf 4, Golf 7).
Mit dem Golf 4 (den ich 2001 bekommen habe) bin ich 1000e von Kilometern durch ganz Europa gereist. Länder wie Frankreich, Belgien, Niederlande, Polen, Baltikum, Kroatien und Bosnien.
Das Auto war einfach kugelsicher und ich war sehr jung und hatte Lust zu reisen… Aber leider musste ich es nach 4 wunderbaren Jahren verkaufen.
Eine andere Sache, die ich wirklich mag, ist das Design der neueren Golfs (7 und 8), ihre Karosserie erinnert an ein amerikanisches Muscle Car wenn man sie von vorne (oder hinten) betrachtet.
Alles in allem wunderbare Autos!!
Viele Grüße,
Beniamin
Vielen Dank für diesen interessanten und gut geschriebenen Blog-Artikel! Ich habe mich sehr gefreut, ihn zu lesen und konnte viele neue Erkenntnisse gewinnen. Liebe Grüße, Benjamin