Lange hat es gedauert: Seit über drei Jahren blogge ich hier und endlich habe ich den VW Golf, das meistverkaufte Auto der Schweiz, im Test! Okay, genau genommen handelt es sich um den praktischen Sportsvan, den Nachfolger vom Golf Plus. Aber die Verwandtschaft zum Standard-Golf ist unübersehbar. Ein Test mit einem VW Golf Sportsvan ist nicht besonders aufregend, weder als Tester, noch als Leser. Dazu kommt noch, dass ich eine Art inneren Widerstand gegen den Golf habe. Völlig subjektiv, rein aus dem Herzen, ich kann es nicht fachlich begründen. Langweiliges Design, kaum Emotionen, gewinnt fast jeden Vergleichstest. Dabei ist er ein Allrounder, muss de facto Kompromisse eingehen und kann gar nicht so perfekt sein. Oder etwa doch…?
Der Widerstand fängt beim Design an. Es ist als Ganzes betrachtet einfach zu konservativ, es weckt keine Emotionen. In meinen Augen muss ein Auto aber nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz ansprechen. Und der Golf Sportsvan ist das pure Gegenteil eines Pulsbeschleunigers.
Aber, ein grosses Aber: Er sieht nicht schlecht aus, eigentlich sieht er sogar ganz adrett aus. Langweiliges Design ist nicht gleich schlechtes Design. Es bedeutet, auf Experimente zu verzichten, damit das Resultat beim Kunden gut ankommt. Und bei genauem Hinsehen erkennt man doch noch Liebe zum Detail. So ist die Neigung des Tankdeckels identisch mit derjenigen der Hintertüre. Ausserdem zieht sich die Seitenlinie genau auf Höhe der Türgriffe durch das gesamte Auto, wo sie hinten nahtlos in die Rücklichter übergeht. Und dafür, dass der Sportsvan ein kompakter Van ist, wirkt er weder kastig, noch hochbeinig. Im Ganzen ein stimmiges Design, das weder speziell schön ist, aber eben auch nicht speziell schlecht ankommt.
Und beim Innenraum? Sofort freut sich das Teufelchen auf meiner Schulter, dass ich endlich stichhaltige Argumente für meine distanzierte Haltung ins Spiel bringen kann. Die im Testwagen verbauten Sitze bieten kaum Seitenhalt, sehen nicht gerade schön aus und der Stoff ist ein bisschen rau. Das Navi ist mir auf Anhieb bekannt vorgekommen, ist es doch 1:1 dasselbe, wie es im Seat Leon zum Einsatz kommt.
Gute Bedienung, vor allem dank der Annäherungssensorik, aber die Bildschirmgrösse und die Auflösung sind nicht mehr zeitgemäss. VW sollte, da über Seat positioniert, eigentlich etwas Besseres im Angebot haben. Aber sind meine Argumente tatsächlich so stichhaltig? Ein Blick in die Preisliste zeigt: Nein, überhaupt nicht. Denn selbstverständlich liefert VW auf Wunsch ergonomisch perfektionierte Ledersitze und ein hochwertigeres Infotainmentsystem. Man muss bei der Bestellung lediglich das richtige Kreuzchen setzen. Mein Teufelchen schmollt. Gibt’s denn wirklich nichts auszusetzen? Doch, gibt es. Der Golf Sportsvan besitzt einen kleinen, ergonomischen Fehler, nämlich, dass das Gurtschloss (klobig ist es obendrein auch noch) starr am Sitz befestigt ist und je nach Statur und Sitzposition am Ellbogen in die Quere kommt.
Ebenfalls sehr unschön ist die grosse Lücke zwischen Rückbank und Kofferraum, die entsteht, wenn die Rückbank nach vorne geschoben wird. Ansonsten? Ansonsten ist der Golf Sportsvan innen wie aus dem Ei gepellt. Hochwertige Verarbeitungsqualität, übersichtliches Interieur, einfache Bedienung, grosszügige Ablagemöglichkeiten und Platz ohne Ende, auch im Fond. Die Rückbank ist horizontal verschiebbar, in der Neigung variabel und auf Wunsch ist selbst der Beifahrersitz umklappbar. Auch der Kofferraum spielt mit einem Volumen von 500 – 1520 Liter in der Liga der kompakten Kombis.
Dass der Golf Sportsvan unbedingt die Bezeichnung «Sport» im Namen tragen muss, hat meine Sympathie ihm gegenüber auch nicht unbedingt erhöht. Aber damit ist VW nicht alleine, viele Hersteller wollen etwas Pepp in den Modellnamen bringen. Aber was Bitteschön hat Sport mit dem Sportsvan zu tun, wenn es nicht einmal ein R Line Paket dafür gibt…? Sei’s drum. Der direkte Vergleich mit einem normalen Golf (niedrigerer Schwerpunkt) fehlt mir, aber ich bin doch recht positiv überrascht worden.
Der 1,4-Liter Turbobenziner sorgt für mehr Schub, als ich angesichts der 92 kW Leistung für möglich gehalten hätte, zumal der Sportsvan doch 1503 Kilo auf die Waage bringt. Aber der Motor hält sich auch auf Bergstrassen tapfer und schiebt zufriedenstellend an. Auch von Kurven lässt sich der Sportsvan nicht abschrecken. Trotz Winterreifen braucht es ein äusserst sportliches Kurventempo, bis einem der Wolfsburger mit Untersteuern die Grenze aufzeigt und einen auf den Boden der Tatsachen zurückholt.
Mühsam ist lediglich, dass der Motor im Bereich zwischen 5000 und 6000 Umdrehungen, wo er die maximale Leistung bringt, mit starkem Dröhnen äusserst negativ auf sich aufmerksam macht. Im normalem Betrieb fällt er praktisch nicht auf und es wäre wünschenswert, wenn der Sound auch im Grenzbereich entweder möglichst leise oder halt sportlich-kernig ist. Trotz mehrfacher Besteigung eines Berges hat sich der Verbrauch im Test mit 6,5 l/100 km in Grenzen gehalten. Aber obwohl der Golf Sportsvan bei weitem kein lethargisches Fahrverhalten an den Tag legt, ist es wesentlich entspannter, ihn auf der Autobahn zu bewegen.
Denn der kompakte Van lässt sich mit allerlei Hightech aufrüsten. Der adaptive Tempomat agiert äusserst feinfühlig und der aktive Spurassistent wäre eigentlich in der Lage, autonom zu lenken, wenn es rechtlich zulässig wäre. So muss aber ständig mitgelenkt werden und der Assistent piepst aufdringlich, wenn man für ein paar Sekunden fahren lässt, anstatt selber fährt. Besonders gut gefällt mir der Tot-Winkel-Warner, der einem statt per Piepsen mit einem Rütteln im Lenkrad warnt, falls man trotz einem Fahrzeug im toten Winkel den Blinker betätigt. Ein Müdigkeitswarner kontrolliert ausserdem, ob man nicht mehr in der Lage ist, eine stabile Spur zu halten. Tja, so langsam, aber sicher weiss ich angesichts all diesen schlagkräftigen Argumenten seitens des Golf Sportsvan gar nicht mehr, womit ich meine innere Ablehnung gegen den Golf begründen soll…
Ich gebe es zu, ich bin mit einer ausgeprägten Negativhaltung auf diesen Testwagen zugegangen. Aber um einem so alltäglichen Test einen etwas anderen Ansatz zu verleihen, habe ich dies für den richtigen Weg gehalten. «Es ist ja nur ein Golf…» habe ich immer gedacht. Ein Langweiler wie aus dem Bilderbuch, da er es allen recht machen muss. Aber wenn ich aus diesem Test eines gelernt habe, dann dies: Der Golf Sportsvan (und somit sicher auch der normale Golf) macht es auch mir recht. Weil er nirgends aneckt. Ob Grosseinkauf, gemütliches Bummeln, sportliches Fahren, beinahe autonomes Fahren auf der Autobahn, er macht einfach alles mit.
Man kann ihm gewisse Dinge ankreiden, aber das sind alles Kleinigkeiten, worüber man hinwegsehen kann. Mit der richtigen Sonderausstattung – das ist wichtig — wird er zum wahren Allround-Talent und Musterknabe. Und er ist sogar überraschend günstig. 37’900 Franken kostet der Testwagen, dem zwar einige Annehmlichkeiten vorenthalten sind, aber der Preis ist für ein deutsches Auto fair. Fazit? Würde mich jemand in einem Monat fragen, was ich am Golf Sportsvan besonders toll gefunden habe, ich würde keine Antwort wissen. Er nistet sich mangels Emotionen nicht ins Langzeitgedächntis ein. Und würde man mich fragen, was ich schlecht gefunden hätte, so wüsste ich ebenfalls keine Antwort. Weil ich schlicht nichts an ihm schlecht gefunden habe. Ein viel besseres Urteil kann sich ein Auto eigentlich kaum wünschen – und ich glaube, mein innerer Widerstand gegenüber dem Golf ist verschwunden.
Alltag
Der Golf Sportsvan bietet viel Raum auf relativ kompakter Länge. Der Kofferraum ist gross und variabel, allerdings entsteht eine grosse Lücke, wenn man die Rückbank nach vorne schiebt, weshalb eine vorgeschobene Rückbank nur mit umgeklappten Rückenlehnen Sinn ergibt. Der Sportsvan lässt sich zudem mit einem Arsenal an Assistenzsystemen aufrüsten.
Fahrdynamik
Auch wenn man den Golf Sportsvan nicht kauft, weil man Fahrspass erleben möchte, so schlägt er sich doch sehr gut. Das flinke DSG, die stabile Kurvenlage und das erst spät vorkommende Untersteuern sind sehr positiv aufgefallen.
Umwelt
Insbesondere bei tiefen Normverbräuchen, wie den 5,2 Liter, die der Golf Sportsvan auf 100 Kilometer verbrauchen sollte, sind die Abweichungen meist ziemlich hoch. Angesichts der teils sportlichen Fahrweise geht der Verbrauch von 6,5 l/100 km aber in Ordnung. Es ist aber Potential nach unten vorhanden, wenn man sehr ruhig fährt. Ein Start-Stopp-Automatik ist immer an Bord.
Ausstrahlung
Nun, ich kenne niemanden, der sich nach einem Golf Sportsvan umdrehen würde. Aber als VW hat er eben ein solides Image, ausserdem wirkt er als Ganzes stimmig, vor allem wenn man bedenkt, dass er ein Van ist.
Fazit
+ Grosszügiges Platzangebot
+ Recht tiefer Verbrauch
+ Treffend schaltendes DSG
+ Ausgewogenes, komfortables Fahrwerk
+ Fairer Preis
+ Leiser Motor
+ Sehr viele Assistenzsysteme erhältlich
+ Hochwertige Verarbeitung
+ Übersichtliches Interieur
– Dröhnender Motor unter Volllast
– Lücke bei vorgeschobener Rückbank
– Starres Gurtschloss vorne
– Kein Allradantrieb verfügbar
– Emotionslos
Steckbrief
Marke / Modell | VW Golf Sportsvan |
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Preis Basismodell / Testwagen | 25'150 CHF / 37'900 CHF |
Antrieb | Benzin, Frontantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1395 ccm / R4 |
Getriebe | 7-Gang DSG |
Max. Leistung | 92 kW bei 5000-6000 r/min |
Max. Drehmoment | 200 Nm bei 1400 - 4000 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 9,9 s |
Vmax | 200 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 5,2 l/100 km / 121 g/km / B |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 6,5 l/100 km / 151 g/km / +25% |
Länge / Breite / Höhe | 4,34 m / 1,81 m / 1,58 m |
Leergewicht | 1503 kg |
Kofferraumvolumen | 500 - 1520 l |
(Bilder: Koray Adigüzel)