Der vollelektrische VW ID.3 ist für Volkswagen der endgültige Aufbruch in die Elektro-Ära. Wohl kaum ein anderes Auto aus Wolfsburg wurde mit so viel Spannung erwartet, kaum ein anderes Auto so offensiv beworben. Wie anno dazumal der Käfer oder der erste Golf soll der ID.3 neue Technologie verfügbar machen und den Konzern für die Zukunft wappnen. Doch was bedeutet das für die Käufer und Fahrer? Der Start des neuen Hoffnungsträgers verlief alles andere als reibungslos. Verzögerungen und Software-Probleme warfen einen Schatten über den Launch des Modells. Zudem sind andere Reviews zuweilen recht durchzogen. Zeit, Klarheit zu schaffen, denn wer meinen Blog kennt, weiss, dass hier nichts schön geschrieben wird. Ist der ID.3 die Zukunft? Und, noch wichtiger, will man diese Zukunft?
Im Gegensatz zum e-Golf der letzten Generation ist beim ID.3 alles neu: Plattform, Antrieb und vor allem auch das Konzept. Das macht das Design deutlich. Für VW-Verhältnisse durchaus mutig: Extrem kurze Überhänge betonen die grosszügige Raumausnutzung, die kurze Schnauze mag nicht die hübscheste sein, doch das Design ist konsequent: Neues ID-Markengesicht ohne Kühlergrill und mit durchgehendem Lichtband, grosse, aber schmale Räder, riesiger Dachspoiler. Fast alles ist auf Effizienz getrimmt, sprich, geringen Roll- und Luftwiderstand.
Klare Abgrenzung
Dass das ein Elektroauto ist, sieht bereits das ungeübte Auge, doch das hässliche Entlein wie frühere E-Autos ist der ID.3 gewiss nicht. Markantes Lichtdesign, eine für deutsche Verhältnisse unaufdringlichere Front sowie kecke Lackierungen und optionale Folierungen für die C-Säule zeugen durchaus von Liebe zum (Design-)Detail. Die ID-Designsprache wird sich von den Verbrenner-Modellen künftig deutlich abgrenzen.
Neues wagen
Der ID.3 nutzt die Möglichkeiten des E-Antriebs aus: Flüssigkeiten, 12-Volt-Batterie sowie Klimaanlage sitzen unter der kurzen Haube vorne, die Batterie unter den Sitzen und die Antriebseinheit über der Hinterachse. Das ergibt ein sehr grosszügiges und luftiges Interieur: Kein Mitteltunnel bedeutet ungewohnte Bewegungsfreiheit auf allen Plätzen und die Beinfreiheit im Fond ist für ein Auto der Kompaktklasse rekordverdächtig. Grosse Ablagen sind zahlreich vorhanden, lediglich der Kofferraum entspricht dem Klassendurchschnitt.
Modern, aber nicht futuristisch
Das Cockpit selber ist modern und reduziert, aber nicht zu futuristisch gestaltet. Das Display hinter dem Lenkrad bewegt sich mit der Säule mit und zeigt nur Tempo, Assistenzsysteme und allenfalls die Navigation an, fertig. Keine Personalisierung, kein Tripcomputer. Für mich persönlich etwas zu simpel gehalten. Das Infotainmentsystem selber ist identisch mit jenem des Golf 8, sprich: Mühsame Sensortasten für Lautstärke und Klima, umständliche Klimabedienung über den Touchscreen und zum Teil zu verschachtelte Menüs. Aber: Im gesamten Test gab es keine Software-Probleme zu bemängeln und die Sprachsteuerung ist absolut State of the Art, genau wie die Online-Navigation.
Plastic Fantastic
Was es aber zu bemängeln gibt, ist die Materialgüte. Bis auf den hellen, geschäumten Teil des Armaturenbretts besteht praktisch das gesamte Innenleben aus wüstem Hartplastik oder anfälligem Klavierlack. Der Unterschied zu einem Golf ist frappant und Technologie rechtfertigt in keinster Weise eine so billige Innenraum-Auskleidung. Mag ja sein, dass Hartplastik leichter und günstiger ist, aber VW ist kein Billighersteller, da hätte man sich deutlich mehr Mühe geben sollen.
Die Ruhe selbst
Zwar verfügt der ID.3 über einen Startknopf für die Zündung, aber für den Motorstart wird er nicht benötigt: Fuss auf die Bremse, Fahrstufe über den Drehhebel rechts vom Lenkrad eingelegt und der ID.3 ist startklar. Unterhalb von 30 km/h gibt er aussen ein extra komponiertes Geräusch von sich, das ganz angenehm klingt. Ansonsten hört man vom ID.3 nicht viel, denn das Auto ist extrem leise, auch bei höheren Geschwindigkeiten.
Fahrerisch ist der ID.3, typisch VW, unauffällig unterwegs. Der Antritt ist zackig und kräftig, aber nicht wie ein Schlag. Puncto Lenkung und Fahrwerk hat sich VW für einen Mittelweg entschieden. Man bekommt gutes Feedback, spürt, was das Auto macht, ist aber dennoch komfortabel in seiner Elektro-Welt unterwegs. Nichts weltbewegendes, nichts aufregendes, aber genau das, was man sich im Alltag wünscht.
Will it drift?
Kraftvoller Elektromotor und Heckantrieb: Eine Einladung, das Heck doch mal quer kommen zu lassen! Doch wie viele wahrscheinlich bereits ahnen, geht diesbezüglich im ID.3 gar nichts. Das ESP ist nicht deaktivierbar und regelt bisweilen ziemlich harsch bei starkem Beschleunigen aus der Kurve. Mit Gewalt geht hier also gar nichts, zumal auch Eco-Reifen aufgezogen sind.
Mit «rundem» fahren, also nicht zu abruptem Anbremsen sowie progressivem Beschleunigen und ruhigen Lenkbewegungen kann man die vorteilhafte Gewichtsverteilung und den kräftigen Antrieb aber durchaus nutzen und mit dem Elektro-VW über eine kurvige Strasse flitzen.
Das Rad nicht neu erfunden
Wie bereits anfangs erwähnt, konnte ich beim Infotainmentsystem während des Tests keine Software-Probleme ausmachen. Auch bei den Assistenzsystemen funktionierte alles einwandfrei und ohne Fehlalarme. Der Spurhalteassistent muss halt, wenn man ihn nicht will, jedes Mal im Untermenü deaktiviert werden, das ist doof, betrifft aber nicht nur den ID.3.
Neuartige Assistenzsysteme bringt der Wagen aber nicht mit sondern bietet die Technik, die man in einem modernen Auto erwartet. Die einzige Neuheit ist das Augmented Reality-HUD, welches bei aktiver Navigation animierte Pfeile in die Scheibe projiziert. Dezent und nützlich.
Der Testwagen mit der mittleren Batterie (58 kWh netto) verspricht eine WLTP-Reichweite von 416 Kilometern. Der Test hat aber gezeigt, dass auch bei VW die Realität massiv darunter liegt. Im Test war in der Regel nach 285 Kilometern bereits Schluss mit lustig. Geladen wird dreiphasig oder mittels Gleichstrom mit bis zu 100 kW.
Immer noch teurer
Preislich sind Elektroautos immer noch im Nachteil, so auch der ID.3. Der vollausgestattete Testwagen kostet rund 53’000 Franken. Damit liegt der Stromer knapp 9000 Franken über dem getesteten Golf 8 mit vergleichbarer Ausstattung. Um damit langfristig günstiger zu fahren, benötigt man den Wagen über die Länge eines Leasings hinaus.
Konsequenter Ansatz
Doch mit seinem Preis, dem hohen Gewicht von über 1800 Kilo und dem Delta zwischen WLTP-Reichweite und Real-Reichweite bildet der ID.3 bloss die Elektroauto-Realität dar, für die er nichts kann. Mit seinem luftigen Raumkonzept, dem Heckantrieb und der aerodynamisch optimierten Karosserie meint es VW allerdings sehr ernst. In meinen Augen ist der ID.3 ein ausgereiftes, komfortables und sehr leises Auto mit klaren Stärken im Alltag: Kleinem Wendekreis und viel Platz. Fahrdynamisch ist er nicht der Hit, aber das braucht er auch nicht zu sein. Er ist auch nicht perfekt, aber ein gelungenes Package. Zukunftstauglich? Auf jeden Fall!
Alltag
Das grosszügige Platzangebot, das luftige Interieur mit zahlreichen Ablagen sowie der sehr kleine Wendekreis sind wahre Helfer im Alltag. Doch auch das HUD mit der wortwörtlich wegweisenden Zielführung ist ein wertvoller Helfer.
Fahrdynamik
Insgesamt ist der ID.3 klar auf der ökologischen Seite. Nichtsdestotrotz wurde das Handling nicht vernachlässigt und wer die Pedale nicht malträtiert, kann mit dem ID.3 durchaus zügig und flink unterwegs sein. Mehr aber nicht, dazu ist das ESP ist sehr radikal.
Umwelt
Die 18,8 kWh/100 km gemäss Bordcomputer sind angesichts der sportlichen und längeren Autobahn-Etappen ein ziemlich guter Wert.
Ausstrahlung
Der ID.3 strahlt die Andersartigkeit auch optisch aus. Das auf Effizienz getrimmte Design muss man mögen, aber ein Statement ist er auf jeden Fall.
Fazit
+ Eigenständige Designsprache, wirkt nicht zu aggressiv
+ Luftiger und grosszügiger Innenraum mit zahlreichen Ablagen
+ Sehr bequeme Komfortsitze mit eigener Armlehne und Massagefunktion
+ Sehr gute Verarbeitung
+ Extrem leises Fahrverhalten
+ Kleiner Wendekreis
+ Clevere Navigationsdarstellung im HUD
+ Ausgewogenes Fahrwerk
+ Starker Durchzug unterhalb von 100 km/h
+ Volles Assistenzpaket erhältlich
– Viel billiges Hartplastik im Interieur
– Harsches, nicht einstell- oder abstellbares ESP
– Infotainmentsystem nicht besonders intuitiv
– Cockpit mit sehr wenig Darstellungsmöglichkeiten
– WLTP-Reichweite fernab der Realität
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | VW ID.3 Pro Performance 1st |
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Preis Basismodell / Testwagen | 52 900 CHF / 53 550 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Heckantrieb |
Akkukapazität | 62 kWh (Brutto) / 58 kWh (netto) |
Max. Leistung | 150 kW |
Max. Drehmoment | 310 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 7,3 s |
Vmax | 160 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 16,9 kWh/100 km / A |
Test-Verbrauch / Differenz | 18,8 kWh/100 km / +11% |
WLTP-Reichweite | 416 km |
Ø Test-Reichweite | 285 km |
Länge / Breite / Höhe | 4,36 m / 1,81 m / 1,57 m |
Leergewicht | 1880 kg |
Kofferraumvolumen | 385 - 1267 l |
Bilder: Jan Höfs