Wenig überraschend: VW Tiguan

Als erfahrener Autoblogger könnte ich bereits dann einen Bericht über den Tiguan schreiben, wenn ich ihn nur kurz gefahren wäre. Der Grund dafür liegt quasi in seinen Genen: Es ist ein Volkswagen. Da gibt es nichts spektakuläres oder aufregendes zu entdecken und so abwertend das klingt, es ist positiv gemeint. Man steigt in den Tiguan ein und ist sofort eins mit dem Auto, wenn man mit VW vertraut ist. Ist man das nicht, dann fährt man eben eine Stunde, dann befindet man sich auf demselben Stand. Der Tiguan fällt nicht auf, kann alles und eckt nirgends an. Wohl deshalb ist er in seinem Segment der Massstab, an dem so schnell kein Weg vorbei führt.

Da der Vorgänger mittlerweile – mit Verlaub – steinalt war, ist der Generationenwechsel unübersehbar (im Gegensatz zum Audi Q5 beispielsweise, ähem…). Abgesehen davon reiht sich der Tiguan nahtlos in das VW Design ein. Die Front betont mit ihren horizontalen Linien die Breite, das Design des Grills wird in den Scheinwerfern wieder aufgenommen. Die Seitenlinie wird durch die Tornadolinie optisch gestreckt und das Heck ist ein Zusammenspiel aus horizontalen und vertikalen Linien. Das Ergebnis ist ein recht strenges, unauffälliges Design. Überrascht bin ich lediglich davon, wie bullig der Tiguan mit dem R-Line Design daherkommt. Diesen kraftvollen Auftritt hätte ich VW fast nicht zugetraut.

VW Tiguan
Ohne R Line Paket ist der Auftritt vom Tiguan brav und geradlinig.

Im Innenraum geht es ebenso konventionell zu und her. Das Cockpit setzt wie das Aussendesign auf klare, horizontale Linien, auf Asymmetrie verzichtet VW. Lediglich die Mittelkonsole und der Touchscreen sind leicht dem Fahrer zugewandt. Trotzdem: Sitze, Verarbeitungsqualität, Ergonomie sowie Infotainment sind vorbildlich. Letzteres gefällt durch seine Bedienung in Form von Tasten und Touchscreen mit Annäherungssensor. Optional ist zudem ein digitales Cockpit verfügbar, welches recht frei konfigurierbar ist.

VW Tiguan
Die Tornadolinie ist eines der wenigen auffälligen Designelemente vom Tiguan.

Nette Spielerei, aber das Virtual Cockpit von Konzernschwester Audi sieht deutlich hübscher aus. Auch das Head-up-Display, welches seinen Zweck zwar tadellos erfüllt, sieht mit seiner schrägen Plexiglasscheibe irgendwie billig aus. Ebenfalls billig sind die starren Gurtschnallen an den Vordersitzen (dieses Problem hat echt nur VW) sowie der klappbare Zündschlüssel trotz Keyless-Go. Zudem sind mir zwei Gegensätze aufgefallen, die nicht so recht zusammenpassen wollen. Da wertet VW das Interieur mit einem rahmenlosen Rückspiegel auf, der glatt aus einem Volvo oder Mercedes stammen könnte und vergisst dafür, die A-Säule mit Stoff zu verkleiden. Also wirklich!

VW Tiguan
Ein Massenauto muss halt über ein massenverträgliches Design verfügen. Die Grafik der Rücklichter ist aber cool.

Tja, ernsthaftere Kritik kann ich keine anbringen, so gern ich das als kritischer Tester auch möchte. Die Platzverhältnisse sind erstaunlich, zudem ist der Tiguan mit der verschiebbaren und dreigeteilten Rückbank sowie dem Tiefgeschoss im Kofferraum variabel genug für die alltäglichen Aufgaben. Eine automatische Heckklappe mit Fusssensor ist da fast schon eine Selbstverständlichkeit. Jüngst wurde auf der NAIAS in Detroit der grosse Tiguan Allspace mit verlängertem Radstand und mit sieben Sitzplätzen vorgestellt. Wer auf die beiden zusätzlichen Sitze verzichten kann, braucht aber wirklich nicht mehr Tiguan als der Normale.

VW Tiguan
Top Sitze mit angenehmem Seitenhalt. Erstklassige Ergonomie.

Es geht mit Bewährtem weiter. Angetrieben wird der Testwagen von einem 140 kW Diesel in Verbindung mit DSG und Allradantrieb. Nebst drei Benzinern sind auch noch ein schwächerer Diesel sowie der starke Biturbo-Diesel aus dem Passat als Topmotorisierung erhältlich. Ein GTE Plug-in Hybrid ist für den Tiguan gemäss VW nicht vorgesehen.
Abgesehen vom Einstiegsbenziner sind alle Varianten ausschliesslich mit Allradantrieb lieferbar. Dieser verfügt über einen Snow- sowie einen Offroad-Modus, bei dem die Kraftverteilung sowie die Gaspedalempfindlichkeit und Traktionskontrolle unterschiedlich eingestellt sind. Des weiteren gibt es verschiedene Fahrmodi für die Strasse, wo der Tiguan wie die meisten SUVs wohl meistens unterwegs sein wird.

VW Tiguan
Klassisches Cockpit, das keinerlei Rätsel aufwirft.

Das Erstaunliche an VWs ist ja, dass es nichts erstaunliches gibt. Die eiskalte Gelassenheit, mit welcher der Tiguan seine Aufgaben meistert, ist ganz hohe Schule. Ob das Fahren auf Schnee, das Rangieren auf engem Raum, das gemütliche Cruisen auf der Autobahn oder das sportliche Fahren auf einer Bergstrasse, der Tiguan zieht das durch, ohne mit der Wimper zu zucken. Für mich als Tester eine ziemlich langweilige Angelegenheit, denn das Auto gibt mir nicht mal eine klitzekleine Angriffsfläche!

VW Tiguan
Das Active Info Display fällt unter die Kategorie «nette Spielerei.» Bei Audi werden die Instrumente noch kleiner und die Karte dafür grösser dargestellt.

Es ist die Souveränität, welche die Autos aus dem Volkswagen Konzern auszeichnet. Natürlich kann ich den Tiguan am Berg an seine fahrdynamischen Grenzen bringen und schlussendlich behaupten, es fehlt ihm an Sportlichkeit, doch es wäre keine faire Kritik, da der Tiguan Kunde wohl kaum einen Tiguan kauft, weil er besonders hohen Wert auf Fahrdynamik legt. Und für ein 1860 Kilo schweres SUV ist der Tiguan eben angenehm und präzise zu fahren, der Motor hat stets genügend Leistungsreserven.

VW Tiguan
Auch hinten sitzt man bequem und hat enorm viel Platz.

Um das Dieselnageln zu übertönen, setzt VW auf einen ganz dezenten Sound Symposer, der kernige Klänge über die Lautsprecher generiert. Ist aber wirklich zurückhaltend und stört überhaupt nicht. Das Fahrwerk ist ein gesunder Mix aus Komfort und Sportlichkeit, lediglich bei kurzen Stössen wie Gullydeckeln oder Bahnübergängen rumpelt es zuweilen. Eine Spur mehr Komfort wäre allenfalls mit dem optionalen adaptiven Fahrwerk zu erwarten.

VW Tiguan
Der rahmenlose Innenspiegel ist hübsch.

Auch technisch ist der Tiguan enorm fortgeschritten. Es ist teilautonomes Fahren im Stau möglich, automatisches Parkieren ebenso. Das LED-Licht regelt feinfühlig, der aktive Spurassistent (der übrigens serienmässig angeboten wird, hört, hört…) lenkt dezent mit. Einzig der Front Assist, welcher vor Gefahren warnt und im schlimmsten Fall eine Notbremsung einleitet, reagiert mitunter etwas zu früh.

VW Tiguan
Das DSG hat VW im Laufe der Jahre perfektioniert wie Toyota seinen Hybridantrieb.

Ich rekapituliere. Kritisiert wurden: Unverkleidete A-Säule, digitales Cockpit weniger schön als bei Audi, Rumpeln bei kurzen Stössen und ein etwas zu vorsichtiger Front Assist. Peanuts! Dazu gesellt sich noch ein Preis, der mit knapp 60’000 Franken für einen Tiguan recht hoch ist. Aber hier gilt es zu sagen, dass der Testwagen fast alles an Bord hat, was VW bietet. Wer ein paar Extras weglässt, steht am Ende vor einem vernünftigeren Preis. Günstig ist ein zwar Tiguan nie, dessen muss man sich bewusst sein, doch er hat im Test gezeigt, dass er diesen Preis zurecht trägt, da er auch nicht unerhört hoch ist.

VW Tiguan
Das Mediasystem überzeugt durch ein gelungenes Bedienkonzept und die Smartphone-Integration.

Wie eingangs erwähnt, habe ich geahnt, dass der Tiguan so fährt, wie er sich eben fährt: Tadellos. Ich bin wirklich nicht nett zu meinen Testautos, sonders versuche stets, das Schlechte in ihnen zu sehen. Doch ich habe das Schlechte beim Tiguan beim besten (respektive beim schlechtesten) Willen nicht gefunden. Man kann von VW halten was man will, man kann die Autos als langweilig betrachten und angesichts des Abgasskandals der Marke kritisch gegenüberstehen. Doch Autos können sie verdammt nochmal bauen in Wolfsburg, das beweist mir jedes Modell wieder aufs Neue. Wer sich einen Tiguan kauft, kann damit gar nichts falsch machen – ausser, das Basismodell mit Frontantrieb zu kaufen…

VW Tiguan
1:0 für den Tiguan – so sehr ich mich auch bemühte, Schwächen zu entlarven… Ich habe keine nennenswerten gefunden.

Alltag 5 out of 5 stars

Auf einigermassen kompakter Länge bietet der Tiguan fürstliche Platzverhältnisse für Passagiere und Gepäck. Mit der dreigeteilten und verschiebbaren Rückbank sowie dem Unterboden im Kofferraum ist er ausserdem erstaunlich variabel. Zudem ist er übersichtlich und auf Wunsch voll bepackt mit Assistenzsystemen.

Fahrdynamik 3.5 out of 5 stars

Die Lenkung ist für ein SUV erfreulich präzise, aber das haben die deutschen Hersteller allgemein im Griff. Eine Sportskanone ist der Tiguan mit seinem ausgewogenem Fahrwerk zwar nicht, doch zügiges Fahren stellt weder das Auto, noch den Fahrer vor irgendwelche Herausforderungen. Dass das optionale adaptive Fahrwerk mehr Sportlichkeit bietet, bezweifle ich. Eine Spur mehr Komfort liegt dagegen wahrscheinlich drin.

Umwelt 3.5 out of 5 stars

Sein Verbrauchsversprechen von 5,7 l/100 km kann der Tiguan im Test mit 7,5 l/100 km nicht halten. Klar, es ist Winter, aber einen halben Liter weniger hätte ich durchaus erwartet, da das Auto nie hart rangenommen wurde.

Ausstrahlung 3.5 out of 5 stars

Der Tiguan ist stimmig und schnörkellos gezeichnet, doch aufregende Details, an denen das Auge hängen bleibt, bietet allenfalls die R-Line Version mit der bulligen Frontschürze.

Fazit 4.5 out of 5 stars

+ Schnörkelloses, übersichtliches Design
+ Sehr geräumiger und variabler Innenraum
+ Perfekte Verarbeitung und Ergonomie
+ Intuitive Bedienung
+ Simples Mediasystem mit Smartphone-Integration
+ Perfektes DSG
+ Präzise Lenkung
+ Ausgewogenes und komfortables Fahrwerk
+ Sehr gutes LED-Licht
+ Zahlreiche zuverlässig funktionierende Assistenzsysteme

– Ziemlich hoher Preis
– Hohes Gewicht
– HUD (zwar immerhin vorhanden) und A-Säule wirken billig
– Teils übervorsichtiger Notbremsassistent
– Fahrwerk rumpelt bei kurzen Stössen

Mängel am Testwagen

– Keine Mängel

Steckbrief

Marke / ModellVW Tiguan
Preis Basismodell / Testwagen28 550 CHF / 59 890 CHF
AntriebDiesel, Allradantrieb
Hubraum / Zylinder1968 ccm / R4
Motoranordnung / MotorkonzeptFrontmotor / Turbomotor
Getriebe7-Gang Doppelkupplungsgetriebe
Max. Leistung140 kW bei 3500 - 4000 r/min
Max. Drehmoment400 Nm bei 1900 - 3300 r/min
Beschleunigung 0 - 100 km/h7,9 s
Vmax212 km/h
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz5,7 l/100 km / 149 g/km / E
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz7,5 l/100 km / 196 g/km / +32%
Länge / Breite / Höhe4,49 m / 1,84 m / 1,64 m
Leergewicht1860 kg
Kofferraumvolumen615 - 1655 l

Bilder: Koray Adigüzel

4 thoughts on “Wenig überraschend: VW Tiguan”

  1. Wer sich als Blogger in 2017 noch einen DIESEL hinstellen lässt hat nichts von Alledem verstanden was um ihn herum passiert. Schade.

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    • Hi, ich teste, was die Hersteller mir geben. So wird es vom Tiguan beispielsweise gar keinen Plug-in Hybrid geben.
      Ich möchte auf meinem Blog eine grosse Bandbreite an Autos testen und präsentieren. Du findest durchaus auch Autos mit alternativem Antrieb. Dass Tesla nicht auf meinem Blog präsent ist, liegt daran, dass ich vom Hersteller (noch) keine Autos bekomme.
      Gruss 😉

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