Im grossen und komfortablen Mercedes GLE kommen selbst Draufgänger zur Ruhe. Das SUV verwöhnt nicht nur mit Platz in Überfluss, sondern auch mit First-Class-Komfort. Der Testwagen mit Basismotorisierung und «nur» mittelmässiger Ausstattung zeigt aber exemplarisch, dass zusätzlich zum Grundpreis viel Geld in die Hand genommen werden muss, um Luxus-Niveau und fortschrittliche Technologie an Bord zu haben. Kann der GLE auch ohne diese Features als Premium-SUV überzeugen? Oder gilt die Devise «ganz oder gar nicht»?
Der brilliantblaue Testwagen fährt mit dem AMG-Paket und den seitlichen Trittbrettern vor, was den bulligen Auftritt verstärkt. Das Auto ist riesig, fast zwei Meter breit und fast 1,80 Meter hoch! Vom optionalen Trittbrett würde ich aber abraten, da man sich daran nur die Hosen dreckig macht.
Ikonisch für den GLE ist die schräge und breite D-Säule, ein Designelement, dass er vom damaligen ML übernimmt. Abgesehen davon ist der GLE aber recht geglättet. Der Vorgänger hat meiner Meinung nach präsenter und aggressiver gewirkt, obwohl er kleiner ist.
Alles digital oder was?
Ganz anders sieht es im Innenraum aus, wo die Knopf-Wüste vom Vorgänger der cleanen, digitalen Cockpit-Landschaft von Mercedes weicht. Das Breitbild-Cockpit ist analog zur A-Klasse, einfach viel grösser, da das Auto viel breiter ist. Das vereinfacht auch die Ablesbarkeit. Die Bedienung via Touchscreen, Touchpad oder Sprache gelingt problemlos und auch mit dem enormen Funktionsumfang kommt man nach einer kurzen Eingewöhnungszeit klar. Viele Dinge lassen sich auch mit dem digitalen Assistenten «Hey Mercedes» erledigen, was ausgesprochen gut funktioniert.
Viel wichtiger ist aber die Kernkompetenz eines SUVs: Platz. Und das bietet der grosse GLE in Hülle und Fülle: Hinten können auch Lulatsche die Beine ausstrecken und durch die Breite des Autos sitzt man auch in der Mitte ganz angenehm. Der Kofferraum schluckt locker den halben Haushalt oder optional eine dritte Sitzreihe, die dem Testwagen aber vorbehalten war.
Überhaupt ist dem Testwagen einiges vorbehalten. So fehlen eine anständige Sound-Anlage, Akustikverglasung, Massagefunktion für die Sitze und die Smartphone-Integration. Das würde ich in diesem Segment erwarten. Wer es ganz feudal will, kann anstelle der Rückbank auch einen Executive-Fond mit allerlei Annehmlichkeiten wie Liegefunktion und gekühlten Cupholdern ordern. Was das Auto dafür hat sind die zwei einengenden Haltebügel auf der Mittelkonsole und billige Lüftungsdüsen.
Eile mit Weile
Unter der Haube arbeitet die Basismotorisierung, was im Falle des 300d ein Vierzylinder-Diesel mit 180 kW ist. Damit fühlt sich der dicke Brocken zwar tatsächlich weniger lethargisch an, als man es zuerst vermutet. Allerdings fehlt dem Auto mit dieser Motorisierung jegliche Souveränität, die ein Dreiliter-Diesel bieten würde. Über alle Zweifel erhaben ist aber immerhin das 9-Gang-Getriebe, welches jegliche Hektik an sich abprallen lässt und stets den richtigen Gang bereit hält.
Sportliche Eskapaden liegen logischerweise nicht drin, da gibt es einige SUVs, die trotz stattlicher Grösse fahraktiver sind. Mit dem verbauten Standardfahrwerk neigt sich der hohe Aufbau in Kurven stark. Dafür funktioniert das komfortable Gleiten tiptop, allerdings kommen die konventionellen Dämpfer bei gröberen Unebenheiten auch mal an ihre Grenzen.
Aktiv federn kostet
Abhilfe verspricht das sogenannte «E-Active Body Control»-Fahrwerk. Es handelt sich dabei um ein proaktives Fahrwerk auf 48-Volt-Basis, welches Wank-, Neig-, und Nickbewegungen unterdrückt. Ausserdem erhöht sich dank der Luftfederung der Komfort erheblich, Temposchwellen können so ohne zu verlangsamen überfahren werden. Doch auch für die Dynamiker dürfte sich das Top-Fahrwerk lohnen, da sich die Karosserie damit absenken lässt. Als absolutes Highlight kann sich das Auto mit diesem Fahrwerk quasi «freihüpfen», wenn es sich im Gelände oder im Schnee festgefahren hat. Doch der ganze Spass hat seinen Preis: 8740 Franken kostet die Option, welche mit der hier getesteten Basismotorisierung nicht einmal kombinierbar ist.
Sensible Technik an Bord
Mercedes rühmt sich, beim teilautonomen Fahren sehr weit vorne zu sein. Das mag sicherlich beim Drive-Pilot, also dem semi-autonomen Fahren sowie dem automatischen Einparkieren zutreffen. Auf der Autobahn lenkt das Auto sehr menschlich und zuverlässig, ausserdem auch bei schlechten Wetterbedingungen. Ein anderes Bild entsteht jedoch beim Notbremsassistenten: Er piepst viel zu früh und viel zu häufig, zwar ohne darauffolgendes dreinbremsen, was aber dennoch sehr nervig ist und zur Folge hat, dass man ihn irgendwann deaktiviert – nur um ihn, genau wie den disruptiven Spurhalteassistenten, nach jedem Motorstart erneut im Untermenü deaktivieren muss. Für mich wären diese offensiven, nicht auf Dauer deaktivierbaren Assistenzsysteme ein K.O.-Kriterium gegen das Auto.
Eine Frage des Budgets
Dass der Mercedes GLE hier nicht besonders gut wegkommt, liegt am Testwagen und nicht am Auto selber. In der getesteten Konfiguration fehlen dem Auto Souveränität, fortschrittliche Hightech-Features sowie das «gewisse Etwas», welches den hohen Preis rechtfertigen würde. Dieser ist mit rund 97’000 Franken für den Testwagen zwar absolut gesehen und an der Grösse des Autos gemessen nicht so viel, aber dafür fehlen mir abgesehen vom Markenimage die Argumente. Wer sich dafür die Annehmlichkeiten sowie eine stärkere Motorisierung gönnt und so die «Schwächen» des Testwagens eliminiert, landet locker bei einem Preis von mindestens 120’000 Franken. Doch das ist am Ende eine Einstellungssache, was einem wie viel Wert ist. Fakt ist, dass der GLE abgesehen von den reinfunkenden Assistenzsystemen ein top SUV ist.
Alltag
Der GLE ist eine automobile Allzweckwaffe. Es gibt ihn als 5- oder 7-Sitzer, er ist geländetauglich, er ist komfortabel, er ist extrem geräumig und er kann hohe Lasten ziehen – jedenfalls mit einem stärkeren Motor.
Fahrdynamik
Zumindest mit dem Stahlfahrwerk ist das grosse SUV kein Dynamiker, er ist eher auf Komfort und Offroadtauglichkeit ausgelegt. Ein schwankendes Schiff ist er natürlich noch lange nicht.
Umwelt
Für einen Zweiliter-Diesel sind 8,2 Liter Verbrauch eher viel. Gut möglich, dass mit einem Dreiliter-Diesel der Verbrauch nicht oder kaum höher ist, einfach weil der stärkere Motor weniger Kraft aufwenden muss, um das Schwergewicht zu bewegen.
Ausstrahlung
Einziges Designmerkmal ist die markante D-Säule. Ansonsten droht der GLE im Allerlei der SUVs unterzugehen. Aber für den einigermassen dezenten Auftritt ist er trotz der schieren Grösse zu haben. Die Konkurrenten Audi Q7 und BMW X5 sind nämlich aggressiver im Auftritt.
Fazit
+ Sehr geräumiger Innenraum, viele und grosse Ablagen
+ Exzellente Verarbeitungsqualität, edle Materialien, top Ergonomie
+ Top Infotainment-System mit exzellenter Bedienung und Sprachsteuerung
+ Formidabler Fahrkomfort
+ Sehr tiefes Geräuschniveau
+ Unauffälliges Automatikgetriebe
+ Teil-autonomes Fahren mit hoher Zuverlässigkeit möglich
+ Trotz enormen Abmessungen akzeptabler Wendekreis
– Knausrige Serienausstattung
– Hoher Preis, teure Optionen
– Unnötige Haltebügel an der Mittelkonsole, billige Lüftungsdüsen
– Viel zu sensibler Notbrems- und Spurhalteassistent
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Mercedes GLE 300d |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 79 200 CHF / 79 200 CHF / 97 071 CHF |
Antrieb | Diesel, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1950 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Biturbomotor |
Getriebe | 9-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 180 kW bei 4200 r/min |
Max. Drehmoment | 500 Nm bei 1600 - 2400 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 7,2 s |
Vmax | 225 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 6,8 l/100 km / 180 g/km / F |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 8,2 l/100 km / 217 g/km / +21% |
Länge / Breite / Höhe | 4,92 m / 1,95 m / 1,78 m |
Leergewicht | 2165 kg |
Kofferraumvolumen | 690 - 2055 l |
Bilder: Koray Adigüzel