Schaut euch die etablierten Hersteller an, zu denen ein elektrischer Roadster ins Portfolio passen würde. Lotus. Jaguar. Porsche. Audi. BMW. Mercedes. Tesla hat seinen Roadster gefühlt vor einem Jahrzehnt angekündigt, passiert ist seither nicht viel. Und ausgerechnet die Chinesen hauen mit dem MG Cyberster ein automobiles Erdbeben auf den Markt. Man kann ja von China halten, was man will, aber die Chinesen haben nicht nur Mut, die können auch was. Ich habe viel über den Cyberster gelesen und geschaut und es wird immer an diversen Punkten über das Auto genörgelt. Ich sage: Bullshit. Natürlich könnte auch am MG der eine oder andere Punkt verbessert werden, aber wenn ich jetzt ein Elektroauto kaufen müsste, es wäre der Cyberster. Vergesst Rundenzeiten und Topspeeds jenseits von 250 km/h. Ich predige einmal mehr, worum es bei einem Fahrspass-Auto – und bei einem Roadster erst recht – geht: Feeling. Und hier überzeugt der Cyberster auf ganzer Linie.
Mittlerweile haben auch die Chinesen verstanden, wie man Autos designt, die den westlichen Geschmack treffen. Aber der Cyberster überrascht dann sogar mich. Ein Auto, das rundum perfekt ist und die Proportionen wie bei einem Topmodell überall perfekt sind. Wo jedes Detail sitzt. Flache Silhouette, knapp bemessene Stoffmütze, lange und flache Haube, grosse und sportlich designte Felgen und ein richtig keckes Heck mit einer Lichtgrafik, die ihresgleichen sucht. Und schliesslich noch das grösste Highlight: Scherentüren, die sich per Knopfdruck öffnen und schliessen. Was für ein Auftritt!

Interieur mit Licht und Schatten
Vom Design her überzeugt auch das Cockpit auf ganzer Linie: Gleich drei Bildschirme, leicht angewinkelt, präsentieren sich vor dem Fahrer, ein weiterer steht auf der Mittelkonsole. Dazu grosse Tasten für die Gangwahl sowie Türen und Dach und ein mächtiger Griff, der Fahrer und Beifahrer deutlich separiert. Das Ganze wirkt nach Kommandozentrale und sehr fahrerorientiert. Auch bezüglich Verarbeitung und Qualität überzeugt MG: Zwar ist das Leder nicht echt, sondern Kunstleder und auch beim Mikrofaser-Stoff handelt es sich nicht um Alcantara, aber das ist eigentlich völlig egal. Viel wichtiger ist, dass sich alles ausgezeichnet anfühlt und auch die Qualität so hoch ist, dass Premium – obwohl niemand bei MG davon spricht – mehr als angebracht wäre. Ebenfalls lobenswert ist, dass im engen Cockpit hinter den Sitzen ein üppiger, gut zugänglicher und mit Netzen strukturierter Stauraum vorzufinden ist. Nichts für Koffer, aber Taschen und alles Mögliche, was nicht zu sperrig ist, findet dort Platz.

Allerdings gibt es auch Anlass zur Kritik. Der grösste Schwachpunkt überhaupt ist die Sitzposition. Sie ist aufgrund des Akkus im Boden einfach indiskutabel zu hoch und nicht so, wie es sich für einen Sportwagen gehört. Doch da der Cyberster auf einer bestehenden Plattform aufbaut, war dies wohl die einzige Option. Ein Layout mit Akku hinter den Sitzen, was die einzig richtige Sitzposition ermöglicht hätte, hätte die Kosten vollkommen gesprengt und das Auto wohl verunmöglicht. So muss man halt damit vorliebnehmen.

Weiter im Text: Das Infotainment. Das Display direkt vor dem Fahrer mit allen während der Fahrt relevanten Themen passt. Links davon ist das eigentliche Infotainment. Allerdings wird ein Grossteil davon vom Lenkrad und der eigenen Hand verdeckt – nicht optimal während der Navigation. Ausserdem ist das Navi, was Verkehrsdaten betrifft, komplett unbrauchbar. Ebenfalls unbrauchbar ist der rechte Screen. Er zeigt keinerlei sinnvolle Infos an, sondern Dinge wie Wetter, MG Account, Energieverbrauch der Klimaanlage und ein paar Einstellungen. Andere, viel wichtigere Einstellungen sowie die Steuerung der Klimaanlage werden über den Bildschirm auf der Mittelkonsole vorgenommen. Das macht die Bedienung ziemlich komplex, da man sich die Sachen zusammensuchen muss. Auch das obligate Aus für alle nervenden Assistenzsysteme (ISA, Spurhaltung, Fahrerüberwachung) muss man sich im MG Pilot Untermenü zusammensuchen.
Chillig, so gewünscht
Was das Fahrerische betrifft, muss man wissen, dass MG den Cyberster eher als GT-Roadster denn als Ultra-High-Performer sieht. Anders ausgedrückt: Wäre dies ein Porsche, würden Köpfe rollen. Aber warum das gar nicht schlimm ist, dazu komme ich gleich. Zuerst zum angestrebten Gran Turismo Charakter, denn der ist definitiv vorhanden. Im Comfort-Modus ist der Fahrkomfort höher als erwartet und auch das Geräuschniveau ist für Roadster-Verhältnisse tief. Tot-Winkel-Warner und Abstands-Tempomat sind ebenfalls an Bord, wobei letzterer etwas feinfühliger mit der Bremse umgehen dürfte. Nichts Schlimmes, aber es ist nicht so perfekt, wie es sein könnte und man es von anderen Herstellern gewohnt ist. Da die Leistung im Comfort-Modus reduziert ist und die Gaspedalkennlinie eher Typ Limousine als Roadster ist, fährt man tatsächlich ganz entspannt von A nach B. Ich würde sogar sagen, Langstreckenkomfort wäre gegeben, aber zum Thema «Langstrecke« komme ich bezüglich Reichweite dann noch.

Nicht perfekt, aber unterhaltsam!
Die Schärfe vom Cyberster lässt sich mittels der Modi Sport und Supersport steigern. Bereits im Sport-Modus steht die volle Leistung an. Supersport schaltet obendrein noch die Launch Control frei und steigert das Ansprechverhalten bis zum Maximum, was mit Elektroantrieb möglich ist, heisst: Die Leistung wird nach dem Lichtschalter-Prinzip voll freigegeben. Gas antippen und bumm, der Nackenschlag lässt grüssen. Geil! Über die Leistung gibt es eigentlich nicht viel zu sagen, denn der Cyberster stürmt wie besessen los. 3,2 Sekunden auf 100 sagt das Datenblatt und das kaufe ich ihm voll ab. Auch der Durchzug während der Fahrt ist immens – ich habe mir jedenfalls nie mehr Leistung gewünscht. Weiterer Bonuspunkt: Der Akku ist nicht zimperlich. Bis ungefähr 25 Prozent Ladezustand steht die maximale Power an, da haben schon andere Performance-Modelle deutlich früher nachgelassen.

Nun zum von einigen als kontrovers empfundene Handling. Der Cyberster ist nicht auf ultimative Schärfe und Präzision getrimmt. Das Einlenkverhalten dürfte für Fanatiker bissiger sein, das Fahrwerk härter und die Bremse spontaner. Es handelt sich zwar um eine sehr belastbare Brembo-Bremse, doch man muss irritierend fest drücken, um die gewünschte Bremsleistung zu bekommen. Last but not least das ESP. Es ist auf Safety getrimmt. Wer enthusiastisch fährt, wird an jedem zweiten Kurvenausgang vom elektronischen Helfer ausgebremst. Das ist mal die nüchterne Darstellung der Fakten.

Man möge mir den Vergleich verzeihen, aber der Cyberster erinnert mich an den MX-5. Natürlich ist der Elektro-Roadster vom Gewicht her nicht mit der Ikone vergleichbar. Mit knapp zwei Tonnen ist der Cyberster für einen Stromer aber noch okay vom Gewicht her, ausserdem stören die Kilos während des Fahrens nicht … eben weil der Cyberster gar nicht die beste Rundenzeit irgendwo niederbrennen möchte. Das leicht softe Setup bringt ähnliche Bewegung ins Chassis wie beim Mazda MX-5 – Fahrfreude ist das Ziel. Das wirkt verspielt, mitreissend und vergnüglich – erst recht, wenn 725 Nm am Kurvenausgang rupfen. Damit sie das auch so richtig unverblümt erledigen können, sollte man das ESP im Touchscreen ausschalten. Keine Angst, es ist zwar nominell off, aber es ist immer noch aktiv – eigentlich eine Art ESP-Sport, denn ganz aus geht gar nicht. Jedenfalls spürt man nun endlich, dass der Cyberster eigentlich hecklastig ist, denn der hintere Motor hat deutlich mehr Power. Reizt man dies aus, so passiert gelegentlich auch mal ein Slide. Trotz der extremen Elektro-Kraft aber sehr gut kontrollierbar, und falls es doch zu viel war, dann ist das ESP nach wie vor immer noch zur Stelle, diesmal wirklich helfend und nicht bevormundend.

In meinen Augen ist der MG Cyberster – auch aufgrund des offenen Dachs – derzeit das Elektroauto, das einem am meisten Fahrfeeling gibt. Der Antritt ist brachial und wird bis zu allen in der Schweiz noch legalen Tempobereichen konstant gehalten. Die Lenkung ist nicht ultra bissig, aber sie gibt gutes Feedback von der Vorderachse. Und das etwas weiche Fahrwerk lässt einen spielerisch den Grenzbereich entdecken. Zudem gibt der MG einen künstlichen (abschaltbaren), aber sehr passenden Sound im Innenraum wieder, der einem ein gutes Tempogefühl suggeriert. Ja, ich gehöre auch zur Sorte, die gerne das Maximum will, aber ganz ehrlich: Zum Roadster passt die etwas softere, verspieltere Abstimmung. Sollte es ein Cyberster Coupé geben (ein Konzept existiert bereits), dann dürfte das gerne etwas spitzer abgestimmt sein.

Das ewige Thema Reichweite
Nun zum zweiten riesigen Ärgernis, abgesehen von der Sitzposition: Reichweite. Bei Performance-Autos immer ein Reizthema. Ich fahre ein Auto wie einen Cyberster nicht ökologisch, sondern so, dass ich Fahrspass erlebe. Als Kunde hätte ich ja schliesslich genau dafür bezahlt. Gemäss Papier sind bereits nicht gerade berauschende 443 Kilometer als WLTP-Reichweite angegeben. Ob man das erreichen kann? Das dürft ihr gerne selbst herausfinden. Wer das Auto sportlich fährt, muss mit einer realen Reichweite von rund 300 Kilometern rechnen, das ist der relevante Wert. Auch bei reinen Autobahnetappen dürfte eher das der realistische Wert sein als die WLTP-Angabe – womit wir wieder beim Thema Langstrecke sind. Respektive, nicht sind. Denn beim MG herrscht Doppel-Minus: geringe Reichweite und lahmes DC-Laden. Max. 144 kW auf dem Papier, in der Realität eher so zwischen 90 und 100 kW Peak. Fazit: Cool, um in der Region umherzudüsen, aber einen Roadtrip würde ich mir mit dem Cyberster nicht antun wollen.

Das einsame Einhorn
Der MG Cyberster ist also nicht perfekt, da gäbe es Verbesserungspotenzial. Aber allein seine Existenz grenzt an ein Wunder. Mehr als genügend Hersteller hätten das Know-how, um einen mitreissenden Elektro-Roadster zu bauen, aber niemand traut sich. Alle bauen lieber noch ein seelenloses SUV, das Kohle bringt. Aber der MG Cyberster hat Seele. Er hat Charakter und das haben die wenigsten Stromer. Er ist der Hoffnungsschimmer, dass Elektroautos auch Petrolheads abholen können. Aktuell gibt es noch viel zu wenige. Ob MG mit dem Cyberster Geld verdient? Ich weiss es nicht. Die hier gezeigte Topversion kostet 69’000 Franken und ist so betrachtet ein Schnäppchen. Fast immer staune ich über die abenteuerlichen Preise gewisser Modelle, aber hier ist es genau umgekehrt. Der Cyberster könnte auch teurer sein und alle würden es verstehen. Ich hoffe, dass sich der Mut von MG auszahlt und der Cyberster ein paar Liebhaber findet. Es gibt aktuell nichts Vergleichbares – und es wird wahrscheinlich auch noch eine Weile so bleiben!

Alltag 
Für einen Roadster verfügt der Cyberster über üppigen Stauraum – mehr als genug für einen Trip zu zweit. Das Auto ist ziemlich handlich und sehr übersichtlich – leider ist die Reichweite knapp bemessen und ein DC-Ladewunder ist der MG auch nicht.
Fahrdynamik 
Nicht das Auto für die letzte Rille, aber mega unterhaltsam. Brutaler Antritt, stabile Bremse, Lenkung mit gutem Feedback und ein gutmütiger Grenzbereich. Wer mit ESP-Off fährt, spürt deutlich die hecklastige Kraftverteilung.
Umwelt 
Auch MG kann nicht zaubern und wenn Leistung gefordert wird, dann fliesst der Strom in rauen Mengen. Am Ende waren es im Schnitt 24,1 kWh/100 km. Nicht wenig, aber wir sprechen hier auch von einem Sportwagen.
Ausstrahlung 
Man muss schon mindestens einen Lamborghini auftreiben, um dem MG Cyberster rein optisch das Wasser reichen zu können. Damit wäre wohl alles gesagt. Bitte mehr solche Autos!
Fazit 
+ Traumhaftes Design mit perfekten Proportionen
+ Scherentüren
+ Bequeme Sitze mit gutem Halt
+ Qualität auf sehr hohem Niveau
+ Viel Platz für einen Roadster
+ Hoher Fahrkomfort
+ Stürmisch mit Fenstern unten und ruhig mit Fenstern oben
+ Extrem spontanes Ansprechverhalten
+ Belastbare Brembo-Bremse
+ Lenkung mit gutem Feedback
+ Hecklastiges Fahrfeeling
+ Gutmütiger Grenzbereich
+ Verspieltes Handling, kann aber sehr wohl sportlich gefahren werden
+ Preiskracher
– Zu hohe Sitzposition
– ESP in eingeschalteter Stellung etwas gar vorsichtig, komplett deaktivieren ist nicht möglich
– Navi ohne Verkehrsdaten
– Bedienung nicht eingängig, Inhalte auf dem rechten Screen total unnötig
– Mässige DC-Ladeleistung
– Knapp bemessene Reichweite
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | MG Cyberster AWD |
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Preis Basismodell / Testwagen | 67 990 CHF / 69 290 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | 77 kWh (brutto) / 74,4 kWh (netto) |
Max. Leistung | 375 kW |
Max. Drehmoment | 725 Nm |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 3,2 s |
Vmax | 200 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 19,1 kWh/100 km / k.A. |
Test-Verbrauch / Differenz | 24,1 kWh/100 km / +26% |
WLTP-Reichweite | 443 km |
Ø Test-Reichweite | 300 km |
Max. Ladeleistung (DC) | 144 kW |
Länge / Breite / Höhe | 4,54 m / 1,91 m / 1,33 m |
Leergewicht (ohne Fahrer) | 1985 kg |
Kofferraumvolumen | 249 l |

























Bilder: Koray Dollenmeier