Werte Damenwelt, bitte entschuldigt den plumpen Einstieg, aber es muss sein. Also, an die Herren: Wer hat schon mal eine Frau gemustert und sich dabei gefragt, ob sie sich unters Messer gelegt hat? Wahrscheinlich ziemlich jeder. Nun muss eine Schönheitsoperation nicht zwingend schlecht sein, im Gegenteil, das Ergebnis kann sich unter Umständen sogar sehen lassen. Doch es ist eine Gratwanderung, schnell kann es auch too much sein. So, und was hat das jetzt bitte mit dem jüngsten Wurf von BMW zu tun? Wie ihr schon bald erfahren werdet, eine ganze Menge…
Es beginnt bereits mit dem Design und der Modellbezeichnung. M235i, das ruft bei jedem eingefleischten BMW-Fan sofort die Assoziation Reihensechszylinder mit Heckantrieb hervor. Doch mit dem echten Coupé hat das 2er Gran Coupé gar nichts gemeinsam. Stattdessen basiert es auf der neuen Frontantriebs-Plattform und ist demzufolge ein 1er mit schönerer Dachlinie und keckem Hintern. Doch Frontantrieb und typisches BMW-Feeling, das beisst sich und darum haben die Bayern tief in die Trickkiste gegriffen, damit das Gran Coupé als M235i auf der Strasse brilliert. Und damit geht die Geschichte erst richtig los.
Optisch trägt der Testwagen im M-Trimm dick auf und lenkt von seinem Plattform-Unterbau geschickt ab. Schwarze Niere, aggressives Styling, blaue Bremssättel, schwarze Abrisskante, fette Endrohre – doch, das macht was her. Das Dasein als Gran Coupé verlangt ausserdem nach rahmenlosen Türen. Weniger elegant gelöst ist meiner Meinung nach aber die Heckklappe. Optisch wirkt sie sehr hoch und verhindert somit einen vollendeten Abgang. Zudem öffnet sich die Heckscheibe nicht mit, das heisst, die Ladeöffnung ist klein und unpraktisch.
Doch ich möchte mich bei einem M-Performance-Modell nicht zu lange bei der Praktikabilität aufhalten. Also vorne einsteigen, auf schicken und recht engen Alcantara-Sportsitzen Platz nehmen und das Triebwerk starten. Es grummelt aus der Auspuffanlage, doch der erste Gang kann lediglich über das Automatikgetriebe eingelegt werden. Manuell ist leider keine Option.
Die Fahrt beginnt im Comfort-Modus und der ist gar nicht so komfortabel, wie es die Bezeichnung vermuten lässt. Die schwergängige Lenkung soll wohl Sportlichkeit vermittelt, ist aber etwas übers Ziel hinausgeschossen. Die adaptiven Dämpfer dämpfen bereits im Einstiegsmodus sehr straff, sodass man die Strasse stets sehr gut mitbekommt. Was ebenfalls auffällt ist, dass das Auto stark dazu neigt, Spurrillen hinterherzufahren. Ein Langstrecken-Traum ist das M235i Gran Coupé also eher weniger, dafür keimt eine Ahnung auf, die sich beim sportlichen Fahren bewahrheiten wird.
Also Wechsel in den Sport-Modus. Motor und Getriebe sind nun hellwach, Zeit, durchzustarten. Der bärige Vierzylinder generiert im mittleren Drehzahlbereich massiven Schub und klingt dabei auch schön kernig. Leider lassen im obersten Drehzahlviertel sowohl Sound als auch Durchzug deutlich nach. Doch dieser Umstand kann mittels manuellem Schalten umgangen werden, was ohnehin mehr Spass bereitet. Soweit alles natürlich? Soweit alles natürlich!
Die Bremse spricht fein an, das Getriebe quittiert prompt jeden Schaltbefehl, ich ziehe den Wagen noch leicht auf der Bremse in die Kurve, das Auto macht keinen Wank. Ohne viel Seitenneigung hält der M235i die Spur, bleibt neutral und zieht sich astrein dank hohem Drehmoment, Sperrdifferential und guter Kraftverteilung wieder aus der Kurve. Schnell, effizient, sauber. Soweit alles natürlich? Leider nein…
Die BMW-Ingenieure haben ein Problem aus der Welt geschafft. Obwohl sowohl die Gewichtsverteilung als auch die Antriebskraft frontlastig sind, spürt man das kaum noch. Dank Sperrdifferential, hartem Fahrwerk und aggressiv reagierender Lenkung wirkt das M235i Gran Coupé sehr flink. Doch dafür wurde ein neues Problem generiert: Das Ganze wirkt leider etwas künstlich.
Keine Frage, der Wagen ist schnell und objektiv sehr sportlich. Doch die Subjektivität, die Essenz der Fahrfreude, die bleibt auf der Strecke. Man spürt die Kraftverwaltung nicht, die Rückmeldung von der Strasse geht in der viel zu harten Lenkung unter. Und im Sport-Modus ist das Auto gnadenlos hart gefedert, was zwar Karosseriebewegungen unterdrückt, aber die Integrität ins Auto ebenfalls nicht fördert.
Wir sind wieder am Anfang der Geschichte angekommen. Meiner Meinung nach hat BMW hier etwas zuviel herumgedoktort. Das hier ist kein Rennwagen, es zählt nicht jede Hundertstelsekunde, sondern das Fahrfeeling. Damit spiele ich nicht mal auf das ruhige Heck an, das ist jetzt halt einfach so, aber dem Auto fehlt es an Integrität des Fahrers und Authentizität. Etwas mehr Natürlichkeit würde ich mir wünschen, frei nach dem Motto: Weniger ist mehr.
Zu guter Letzt kommt noch, dass sich BMW das Gran Coupé teuer bezahlen lässt. Der Aufpreis zum M135i beträgt 3400 Franken. Der Testwagen kostet happige 85’330 Franken – und wir befinden uns hier in der Kompaktklasse, das darf man nicht vergessen. BMW hat sämtliche Register gezogen und bietet mit dem M235i Gran Coupé ein Auto an, das nicht mitreissend sportlich, sondern effizient sportlich fährt. Dass er nach einer höheren Klasse aussieht, manifestiert sich im Preis. Ein Auto fürs Auge und für Längsdynamiker, aber nicht für Enthusiasten, die sich einfach mal zum Spass Pässe zum Feierabend gönnen.
Alltag
Für ein Coupé mit vier Türen bietet der M235i gute Platzverhältnisse, auch im Fond. Der Kofferraum ist durch die kleine Öffnung jedoch umständlich zu beladen und sperrige Gegenstände passen nicht rein. Die Übersicht ist schlecht.
Fahrdynamik
Das Lob zuerst: Durch das aggressive Fahrwerkssetup kriegt man den M235i tatsächlich kaum ins Untersteuern. Stattdessen fährt er schön neutral, bietet jede Menge Grip und lenkt sehr bissig ein. Der Motor bietet ein hohes Drehmoment für seine Klasse und starken Druchzug, dafür fehlt es ihm obenraus an Power. Die Kehrseite des spitzen Handlings ist, dass sich das ganze etwas künstlich und zum Teil unnötig hart anfühlt. Zudem fährt das Auto allen Spurrillen hinterher.
Umwelt
Man kennt es mittlerweile zur Genüge von hochgezüchteten Zweiliter-Motoren: Selbst im Teillast-Betrieb ist nichts mit grosser Sparsamkeit. Unter 7,5 Liter geht gar nichts, im Test waren es im Schnitt 9,1 l/100 km.
Ausstrahlung
Das 2er Gran Coupé macht insbesondere als M235i mächtig Eindruck und wirkt sowohl sportlich, als auch elegant. Die Heckklappe hätte man aber etwas eleganter lösen können.
Fazit
+ Sportlich-elegantes, provokatives Styling
+ Perfekte Ergonomie, haltstarke und bequeme Sportsitze
+ Sehr wertige Materialien, top Verarbeitung
+ Gute Platzverhältnisse
+ Online-Anbindung und top Bedienung vom Infotainmentsystem, hervorragende Sprachsteuerung
+ Unauffälliges Automatikgetriebe
+ Druckvoller Motor mit hohem Drehmoment
+ Hoher Grip
+ Neutrales Handling, kaum Untersteuern
+ Bissige Bremse
+ Spitz reagierende Lenkung, die aber zu schwergängig ist
+ Viele Assistenzsysteme verfügbar, viele davon aber aufpreispflichtig
– Unpraktische Kofferraumöffnung
– Wirkt zum Teil künstlich und zu hart
– Läuft Spurrillen dauernd nach
– Dem Motor geht oben raus die Luft aus
– Hoher Preis
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | BMW M235i Gran Coupé |
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Preis Basismodell / Testwagen | 62 000 CHF / 85 330 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1998 ccm/ R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 225 kW bei 5000 - 6250 r/min |
Max. Drehmoment | 450 Nm bei 1750 - 4500 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,8 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 8,3 l/100 km / 188 g/km / E |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 9,1 l/100 km / 206 g/km / +10% |
Länge / Breite / Höhe | 4,53 m / 1,80 m / 1,42 m |
Leergewicht | 1690 kg |
Kofferraumvolumen | 430 l |
Bilder: Koray Adigüzel