Nicht viele SUVs können von sich behaupten, bereits in der dritten Generation an den Start zu gehen. Der Vorteil der Japaner ist, dass sie sich bereits eine Kundschaft und vielleicht sogar Fangemeinde erarbeiten konnten. Kann sich die jüngste Generation gegen die breit gefächerte Konkurrenz behaupten? Kann sie sich weiter verändern, ohne sich selber zu leugnen?
Äusserlich beweisen die Japaner vor allem an der Front Mut. Die zackigen Scheinwerfer wirken sehr markant und der kleine Qashqai-Schriftzug unterhalb der Lichter beweist Liebe zum Detail. Im Profil und beim Heck ist es dann mehr Evolution im Vergleich zum Vorgänger. Sympathisch ist, dass die Japaner nicht auf den Zug des Grössenwachstums aufspringen, sodass der Qashqai noch einigermassen kompakt bleibt.
Hochwertiges Ambiente
Im Interieur präsentiert sich der Qashqai von seiner besten Seite. Schicke Zierelemente ohne Fingerabdrücke, Lederapplikationen und weicher Kunststoff schaffen ein gediegenes Ambiente. Der elektronische Getriebe-Wählhebel sowie die Nappaleder-Sitze in der höchsten Ausstattungs-Linie bringen einen luxuriösen Touch ins Auto.
Doch auch die Technologie kommt nicht zu kurz. Ein konfigurierbares, gestochen scharfes Digital-Cockpit und ein in die Scheibe projiziertes HUD wirken hochklassig. Das Infotainmentsystem wird über einen flüssig reagierenden Touchscreen bedient, wobei aber Knöpfe für Klima oder Direktwahltasten erhalten blieben. Gefällt! Allerdings ist das Multimedia-System noch nicht ganz dort, wo es sein sollte. Zwar überzeugt die Online-Navigation via Google, doch die Sprachsteuerung ist sehr begriffsstutzig und kann mit frei gesprochenen Sätzen absolut nichts anfangen. Und dass ein Software-Update nur im Auto mit aktiver Zündung funktioniert, wirkt im Jahr 2022 ziemlich peinlich.
Cleveres Platzmanagement
Für seine Grösse bietet der Qashqai ordentliche Platzverhältnisse. In der Top-Ausstattungslinie werden die vorderen Insassen mit drei Massageprogrammen verwöhnt. Im Fond kann zwar nichts justiert werden, doch sitzt man bequem mit genügend Platz und geniesst die Aussicht aus dem gigantischen Panoramadach. Besonders praktisch ist der Kofferraum: Werden die Sitzlehnen umgelegt, entsteht eine nahezu ebene Ladefläche. Zudem bietet der Kofferraum ein Untergeschoss sowie die Möglichkeit, ihn zu unterteilen, womit beispielsweise Einkaufstaschen so eingeladen werden können, dass sie nicht in der ersten Kurve umfallen.
Vorerst nur ein Motor
Unter der Haube arbeitet ein 1,3-Liter Vierzylinder-Turbobenziner als Mild-Hybrid, wodurch das Aggregat sehr geschmeidig startet. Dieser Antrieb ist vorerst die einzige Motorisierung, allerdings wird er in zwei Leistungsstufen, mit Front- oder Allradantrieb sowie mit manuellem oder stufenlosem Automatikgetriebe angeboten. Der Haken: Die Handschaltung ist leider nur für die schwächere Leistungsstufe erhältlich. Im Falle des Testwagens steht die stärkere 116 kW Variante mit Frontantrieb und Automatikgetriebe zur Testfahrt bereit.
Kein Aufheulen
Bezüglich des Getriebes kann ich Entwarnung geben: Es ist eines der besten stufenlosen Getriebe, die derzeit verfügbar sind. Der Motor läuft stets sehr ruhig und selbst bei stärkerem Beschleunigen simulieren die virtuellen Schaltstufen ein konventionelles Getriebe. Das funktioniert selbst beim Kickdown erstaunlich gut, sodass das gefürchtete Aufheulen des Motors, der ewig lange am Begrenzer klebt, glücklicherweise nicht vorkommt. Dafür punktet das Getriebe mit einem sehr spontanen Ansprechverhalten, insbesondere beim Anfahren!
Die Frage, warum man ein SUV mit Frontantrieb kaufen soll, welches im Winter wie ein Kleinwagen am Hang verzweifelt nach Traktion sucht, lasse ich jetzt mal offen. Ich würde definitiv den Allradantrieb wählen, doch der Verzicht darauf spart Gewicht, sodass der ohnehin nicht schwere Qashqai als Fronttriebler trotz Vollausstattung gerade mal 1520 Kilo wiegt, was ein sehr guter Wert ist.
Das bedeutet, dass der Japaner trotz recht bescheidenen Leistungsdaten vollkommen ausreichend motorisiert ist. Das Fahrwerk selbst kommt mit dem recht geringen Gewicht und dem Antrieb bestens zu Recht. Es ist ausgewogen abgestimmt und lässt zwar ziemliche Karosserieneigung zu, doch dafür, dass dieses Auto keinerlei sportliche Ambitionen hegt, geht der Qashqai gut und gerne auch mal zügiger ums Eck. Dem Komfort zu Liebe würde ich es bei den standardmässigen 19″-Felgen belassen und nicht die optionalen 20-Zöller wählen.
Vorsichtige Technik
Technisch ist der Qashqai extrem gut ausgerüstet. Bei Nissan sind die Assistenzsysteme unter dem Namen ProPilot zusammengefasst. In der maximalen Konfiguration fährt der Qashqai teilautonom auf seiner Spur und passt sein Tempo automatisch über Verkehrszeichen sowie GPS-Daten an. Diese halbautomatische Fahrweise ist aber extrem defensiv ausgerichtet, sprich, die meisten Fahrer würden das Tempo weniger stark drosseln. Natürlich kann man das System auch so einstellen, dass es einfach als normaler Abstandstempomat ohne sonstige Eingriffe funktioniert.
Auch der nach jedem Motorstart erneut aktive Spurhalteassistent sowie der Notbremsassistent sind ziemlich übervorsichtig, sodass der eine oder andere Fehlalarm leider zum Alltag dazugehört. Ins selbe Rohr bläst die Verkehrszeichen-Erkennung, die einen bei jeder Tempo-Überschreitung erst mal fünf Sekunden lang penetrant anblinkt – auch sie ist nach jedem Motorstart wieder aktiv. Auf Dauer wird man so wider Willen zu einem defensiveren Fahrstil «erzogen», da man das Gepiepse verhindern möchte. Lob verdient der Japaner dafür beim sehr zuverlässigen Tot-Winkel-Warner, der gestochen scharfen 360°-Kamera sowie dem Matrix-Fernlicht. Weniger erfolgsversprechend ist dafür der Mild-Hybrid-Antrieb. Trotz Frontantrieb und tiefem Gewicht lag der Testverbrauch bei 7,5 l/100 km. Das ist für den kleinen Motor ziemlich viel.
Volle Hütte für wenig Geld
Besonders stark ist der Qashqai beim Preis-Leistungs-Verhältnis. Der komplett ausgestattete Testwagen kostet 46’250 Franken, die Allrad-Variante wäre 2000 Franken teurer. Für seinen Preis bietet der Qashqai eine sensationelle Ausstattung, einen hohen Komfort und ein tolles Platzangebot. Insbesondere beim Getriebe und bei der Technologie macht er einen grossen Sprung nach vorne, wobei die Assistenzsysteme individueller einstellbar sein sollten. Selbst mit Allradantrieb wäre der Qashqai als Familien-SUV zu verstehen, fürs Gelände ist er nicht wirklich konzipiert. Bleibt zu hoffen, dass sein zur Zeit mageres Antriebs-Portfolio sowie die Abkehr vom Diesel seinem zukünftigen Erfolg nicht im Weg steht.
Alltag
Der Qashqai bietet grosszügige Platzverhältnisse sowie einen clever nutzbaren Kofferraum. Diverse Ablagen sowie die scharfe 360°-Kamera runden seine Alltagsstärken auf. Ein weiterer Pluspunkt ist die Massagefunktion vorne.
Fahrdynamik
Das ausgewogene, nicht-adaptive Fahrwerk hält den Qashqai gut auf Kurs und man kann gut und gerne auch mal zügiger unterwegs sein. Doch von einem Sport-SUV ist der Qashqai weit entfernt und angesichts seiner anderen Qualitäten ist das auch gut so.
Umwelt
Ein 1,3-Liter Benziner mit Mild-Hybrid-Technologie sollte mit 1520 Kilo Gewicht ziemlich sparsam sein. Doch in der Praxis klappt das nicht so recht. 7,5 Liter Testverbrauch sind kein Vorzeige-Wert.
Ausstrahlung
Vor allem an der Front haben sich die Japaner etwas getraut. Der Qashqai trägt ein sehr markantes, neues Markengesicht. Der Rest der Autos ist genauso gefällig wie unauffällig.
Fazit
+ Gefälliges, markantes Design
+ Gute Platzverhältnisse
+ Sehr hochwertige Materialien, top Verarbeitung
+ Kein digitaler Overkill, stattdessen diverse Knöpfe zur Bedienung
+ Niedriger Geräuschpegel
+ Extrem laufruhiger Motor
+ Spontanes Ansprechverhalten
+ Tolles stufenloses Getriebe ohne Gummiband-Effekt
+ Umfangreiches Assistenzpaket
+ Sehr attraktiver Preis
– Kein Sparwunder
– Teilweise übervorsichtige oder penetrante Assistenzsysteme
– Unzulängliche Sprachsteuerung
– Kein Diesel-Antrieb mehr, vorerst mageres Antriebsportfolio
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Nissan Qashqai |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 29 400 CHF / 36 100 CHF / 46 250 CHF |
Hubraum / Zylinder | 1332 ccm / R4 |
Antrieb | Benzin Mild-Hybrid, Frontantrieb |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | Stufenloses Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 116 kW bei 5500 r/min |
Max. Drehmoment | 270 Nm bei 1800 - 3750 r/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 9,2 s |
Vmax | 199 km/h |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 6,7 l/100 km / 150 g/km / D |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 7,5 l/100 km / 168 g/km / +12% |
Länge / Breite / Höhe | 4,43 m / 1,84 m / 1,63 m |
Leergewicht | 1520 kg |
Kofferraumvolumen | 436 - 1422 l |
Bilder: Koray Adigüzel