Der letzte Flug der zugrunde gegangenen Airline Air Berlin endete mit folgender Durchsage des Piloten: «Heute sagen wir nicht auf Wiedersehen, sondern Tschüss.» Heute sage ich auch dem Jaguar F-Type, der wohl das am meisten getestete Auto auf meinem Blog ist (eine Suche fördert diverse Reviews zutage) nicht auf Wiedersehen, sondern Tschüss. Die Produktion der charismatischen Raubkatze wurde bereits beendet, dieser Tage können die letzten Exemplare noch als Neuwagen erworben werden. Doch bevor sich unsere Wege endgültig trennen, wird es Zeit für eine Abschiedsrunde mit einem der eigenständigsten und emotionalsten Sportwagen!
Die optischen Änderungen seit dem grossen Facelift Ende 2019 halten sich beim Abschiedsmodell F-Type 75, welches für 75 Jahre Sportwagen bei Jaguar steht, in sehr engen Grenzen. Es gibt die eine oder andere neue Mattlackierung, ausserdem sind die Embleme von Jaguar sowie die R-Symbole ebenfalls monochrom gehalten. Ansonsten ist optisch alles beim Alten geblieben und einmal mehr wird eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Italiener und Briten einfach zeitloses Autodesign beherrschen. Der F-Type ist nun über zehn Jahre alt und wirkt dennoch immer noch modern, sportlich und sexy!
Der Sound ist in andere Zonen gewandert
Während die älteren F-Type-Modell bereits beim Motorstart jedes Lebewesen im Umkreis von 100 Metern aufscheuchten, macht das die Neuauflage nur noch beim Kaltstart und auch dann nur mit einem kleinen Kniff: Erst Zündung einschalten, Auspuff-Taste drücken und dann den Motor starten. Herrlich, wie das Fünfliter-Aggregat aufbrüllt! Dass es im Jahr 2024 überhaupt noch ein Auto mit einer Auspuff-Taste für mehr Sound gibt, ist schon eine Rarität für sich. Allerdings musste auch Jaguar Zugeständnisse machen. Unter 3500 Umdrehungen ist die Auspuff-Taste wirkungslos und der V8-Sound ist ziemlich stark gedämpft. Frühere Modelle machten bei jeder Drehzahl einen gewaltigen Radau – übrigens auch die V6-Modelle, deren Sound einen ganz eigenen Reiz hat. Hier und heute kehrt der Sound oberhalb der erwähnten Drehzahlgrenze von 3500 Touren zurück – dann dafür in einer Stimmgewalt, die das Adrenalin in Strömen fliessen lässt und Gänsehaut verursacht. Britischer V8 Hardrock vom Feinsten!
Glatt geschliffener
Nicht nur der Sound hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, sondern auch das Handling. Die ersten beiden Modelljahre waren noch sehr wild und selbst mit eingeschaltetem ESP konnte die Hinterachse teils unvermittelt ein Eigenleben starten. Insbesondere die erste R-Version mit V8-Motor und Heckantrieb war genauso roh wie gefürchtet. Die Tatsache, dass die Kombination von brutaler V8-Power und Heckantrieb (abgesehen vom limitierten Project 7) nur ein Modelljahr lang angeboten wurde, zeigt, dass sogar Jaguar Einsicht gehabt haben muss, dass das Handling doch recht eigenwillig war. Fortan gab es das Topmodell – wie der aktuelle Testwagen – nur mit Allradantrieb. Das heisst aber nicht, dass der Brite damit zahm und langweilig wurde. Der britische Allradantrieb ist sehr hecklastig und selbst bei Traktionsproblemen werden maximal 30 Prozent der Kraft an die Vorderräder geleitet.
Spätestens seit dem grossen Facelift im Jahr 2020 wurde das Fahrwerk, welches den F-Type immer mehr wie ein britisches Muscle Car statt wie ein Präzisionssportwagen wirken liess, eingehend überarbeitet. Die Lenkung erhielt mehr Feedback und der mechanische Grip wurde deutlich verbessert. Ausserdem wurde das Handling dahingehend entschärft, dass das ESP nun vertrauenswürdigen Schutz bietet und nicht erst dann eingreift, wenn die Hinterachse schon komplett eskalierte.
Mehr Sportwagen, aber hauptsächlich Genuss
Die Überarbeitung sorgte dafür, dass der F-Type, wie er heute dasteht, sich zwar tatsächlich wie ein Sportwagen fährt, aber die maximale Präzision und ein top Handling sind nie die Stärke des F-Type geworden. Um das Ganze besser einzuordnen, hier ein Vergleich in der Klasse der Hot Hatches: Der F-Type ist wie der Hyundai i30 N. Wild, verspielt, laut, emotional und eine Serotoningranate. Der anvisierte Konkurrent des Jaguars, der Porsche 911, ist in der Kompaktklasse quasi der Honda Civic Type R. Auf maximale Performance gebürstet, seriös, präzise und scharf wie ein Skalpell. Wenn es um das maximale Kurventempo geht, sind der Type R und der 911 klar überlegen. Aber machen sie auch mehr Spass als F-Type und i30 N? Das ist eben genau der Punkt!
Wenn es darum geht, die Strasse und die Kurven zu geniessen, dem herrlichen V8-Gezeter zu lauschen und mit ESP-Sport immer darauf vorbereitet zu sein, dass das Heck einen Powerslide einleitet, dann führt kein Weg am Jaguar F-Type vorbei. Der Wagen bietet insbesondere als Roadster eine Lebensfreude, wie es heute nur noch sehr wenige Autos tun. Auch ein heute seltener Genuss ist das Fehlen jeglicher nerviger Assistenzsysteme. Kein Spurhalteassistent, kein Tempolimitwarner und was verbaut ist, hat kein einziges Mal reklamiert. So soll es doch sein! Darüber hinaus ist der F-Type ein absolut eigenständiger Sportler, da er keine technischen Geschwister hat. Das macht ihn umso einzigartiger und begehrenswerter.
Seine Tage sind gezählt
Während dieses Review gelesen wird, wurde die Produktion der britischen Schönlings bereits eingestellt. 87’731 Exemplare hat Jaguar in den letzten 12 Jahren gebaut. Neukonfigurationen sind nicht mehr möglich, doch die letzten Modelle sind noch als Neuwagen erhältlich. Dies zum nicht ganz günstigen Tarif von – im Falle des hier gezeigten Testwagens – 161’820 Franken. Als Wertanlage ist der Jaguar F-Type wohl deutlich zu wenig exklusiv, aber Autos sind ohnehin zu fahren da. Und wer nicht diesen immensen Betrag aufbringen will oder kann: Das Angebot an gebrauchten Modelle ist gross, sogar sehr junge Occasionen mit kaum Laufleistung werden bereits zu deutlich reduzierten Preisen angeboten. Obwohl der Unterhalt teuer ist und das Benzin in Strömen fliesst, kann ich nur eine letzte grosse Empfehlung für den F-Type aussprechen. Dieses Auto bietet ein Feuerwerk an Emotionen und es ist definitiv eine der letzten Möglichkeiten, himmlichen V8-Sound zu geniessen. Jaguar jedenfalls hat den charismatischen V8-Sound in der British Library verewigen lassen, bevor der traditionsreiche Autohersteller ab 2025 eine neue Ära eröffnet und künftig nur noch Elektroautos im Luxus-Segment anbieten wird.
Alltag
Rein objektiv betrachtet verdient der F-Type eine geringere Wertung: Der Kofferraum ist klein und unpraktisch geformt, die Ablagemöglichkeiten im Innenraum beschränkt, der Wendekreis sperrig. Aber weil der Roadster die Laune mit jeder alltäglichen Ausfahrt hebt, sei die Wertung an dieser Stelle grosszügig aufgerundet.
Fahrdynamik
Die Brachialität, mit welcher das V8-Kompressortriebwerk losstürmt, ist unvergleichlich. Eine Symphonie, die ihresgleichen sucht. Die Lenkung gefällt mit guter Präzision ohne künstliche Verhärtung. Grip ist trotz Allradantrieb nicht immer ganz gewährleistet, das ESP ist im Normal-Modus streng und im Track-Modus sehr Laissez-faire. Aufgepasst.
Umwelt
14,8 l/100 km. Es lässt sich aber bei gemässigter Fahrweise tatsächlich der Normverbrauch von 10,5 l/100 km erzielen.
Ausstrahlung
Mit seiner langen Schnauze und den perfekten Proportionen zieht der Jaguar F-Type Roadster immer noch die Blicke auf sich. Der Sound ist bei tiefen Drehzahlen stark kastriert, aber oben raus brüllt die Raubkatze wie zu ihren besten Zeiten.
Fazit
+ Zeitloses, wohlproportioniertes Design
+ Tiefe, bequeme Sitzposition, haltstarke Sitze, top Ergonomie
+ Feinstes Leder
+ Einfache Bedienung
+ Grandioser Motorsound
+ Brutaler Durchzug, Ansprechverhalten sensationell
+ Bissige, stabile Bremse
+ Hecklastiger Allradantrieb
+ Gutes Matrix-Licht
+ Keine nervenden Assistenzsysteme
+ Einzigartiger Charakter, hochemotional
– In die Jahre gekommenes Infotainmentsystem
– Eng geschnitten innen
– Sperriger Wendekreis
– Handling mit ESP Sport oder Off schwierig
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Jaguar F-Type 75 Convertible |
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Preis Basismodell / Testwagen | 154 000 CHF / 161 820 CHF (nicht mehr konfigurierbar, aber noch bestellbar) |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 5000 ccm / V8 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Kompressormotor |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 423 kW bei 6500 r/min |
Max. Drehmoment | 700 Nm bei 3500 - 5000 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 3,7 s |
Vmax | 300 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 10,7 l/100 km / 243 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 14,8 l/100 km / 336 g/km / +38 % |
Länge / Breite / Höhe | 4,47 m / 1,89 m / 1,31 m |
Leergewicht | 1913 kg |
Kofferraumvolumen | 233 l |
Bilder: Koray Dollenmeier