Es vergeht mittlerweile gefühlt fast kein Tag, an dem kein neues Elektroauto oder zumindest eine Variante vorgestellt wird. Als der Jaguar I-Pace im Jahr 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war das noch nicht so. Im Gegenteil: Im Premium-Segment waren Elektroautos noch eher rar, die Briten hatten eine Vorreiterrolle inne. Moderne Technologie, neue Plattform, clevere Architektur, vernünftige Reichweite. Wow. In der Zwischenzeit ist verdammt viel passiert – nur bei Jaguar nicht. Bis auf ein paar Details ist das Vorzeigekätzchen unverändert, nachfolgende Elektroautos gibt es bei Jaguar erst ab 2025, wenn die Marke sich in einer Art Relaunch als neue Luxus-Marke die ausschliesslich Elektroautos fertigt, präsentiert. Sechs Jahre sind bei Elektroautos eine lange Zeit. Ist der Jaguar I-Pace überhaupt noch konkurrenzfähig? Oder wird es Zeit fürs Abstellgleis?
Optisch hat sich in all den Jahren beim ersten und bislang einzigen Elektroauto von Jaguar kaum etwas verändert. Die augenscheinlichste Änderung ist der nun geschlossene Kühlergrill, wie es bei allen modernen Elektroautos zeitgemäss ist. Die früheren Versionen hatten noch einen richtigen Kühlergrill und das sah – mit Verlaub – erst noch besser aus. Anstatt für den I-Pace eine neue, anständige Front zu designen, sieht die Abdeckung aus, als wäre sie mit einem 3D-Drucker notdürftig gedruckt und nachträglich angebracht worden. Das ist weder britisch noch sexy.

Ansonsten ist der I-Pace, wie viele englische Autos, ausgesprochen gut gealtert. Die für SUV-Verhältnisse flache Silhouette, die bündigen Türgriffe und die flachen Lichter wirken immer noch frisch. Der sportliche und wuchtige Auftritt wird durch die riesigen 22-Zöller unterstrichen.

Hohe Qualität, kleine Screens
Im Interieur blickt das Alter eher durch. Das Cockpit selber mit der personalisierbaren Ansicht sowie das HUD wirken zwar noch zeitgemäss, der Touchscreen in der Mitte ist dann für heutige Verhältnisse doch eher klein. Immerhin läuft aber das aktuelle Infotainmentsystem von Jaguar mit Routenplanung, Online-Navigation, einfacher Bedienung, guter Sprachsteuerung sowie vor allem blitzschneller Reaktion darauf. Ziemlich deplatziert wirkt dafür der zweite, noch viel kleinere Screen eine Etage tiefer, der für die Klimabedienung zuständig ist. Das Ganze wäre besser von Anfang an mit physischen Knöpfen gelöst worden, doch wahrscheinlich wollte man bereits damals modern wirken mit diesem Ansatz.

Kein Grund zum Murren gibt es beim Platzangebot. Man sitzt überall luftig, die Beinfreiheit im Fond ist sogar richtig fürstlich. Obwohl der Wagen ein Crossover ist, sitzt man erfreulich tief, was eine sportliche Sitzposition ermöglicht. Die Qualitätsanmutung überzeugt ebenfalls restlos, vor allem, was die Verarbeitungsqualität angeht. An paar Stellen kommt zwar eher zweitklassiger Kunststoff zum Einsatz, aber an den meisten Stellen ist die Haptik vorbildlich.

Alter hat auch Vorteile
Der I-Pace ist im Leben des Autotesters eine willkommene Abwechslung zum Überwachungswahn vieler anderer derzeitiger Testautos. Kein Tempolimitüberwacher ISA, keine Fahrerüberwachung per Infrarot und ein Spurhalteassistent, der wirklich erst dann eingreift, wenn man kurz davor ist, 100 Meter in den Abgrund zu stürzen. Einfach einsteigen und losfahren, der Sound des gekoppelten Smartphone ertönt ausserdem ab der ersten Sekunden. So entspannt kann losfahren sein! Dass der Brite aber kein Schaukelpferd ist, sondern den Fokus den Markenwerten verpflichtend auf Performance legt, zeigt sich schon ziemlich schnell.

Eine ausgesprochene Sänfte ist der I-Pace unter keinen Bedingungen, was bestimmt auch an den grossen 22-Zöllern liegt, die für einen eher harschen Abrollkomfort sorgen. Aber auch die direkte Lenkung spricht für sich und zeigt, wozu der Elektro-Jaguar fähig ist. Unter diesen Prämissen wirkt denn auch der Eco-Modus ziemlich deplatziert: Das sportliche Fahrwerk, die spitz ansprechende Lenkung und dann das im Eco-Modus verzögerte Ansprechverhalten passen einfach nicht zusammen.

Performance als Stärke
Da der I-Pace ohnehin keinen Hehl daraus macht, was seine Kernkompetenz ist, bietet sich natürlich der Dynamic-Modus an. Mit seinen 696 Nm und 294 kW ist der Brite sehr anständig, aber nicht komplett übermotorisiert. Umso cooler, wie der I-Pace seine Leistung abgibt: Anstatt einen zuerst mit Drehmoment zu überfallen und dann ziemlich bald nachzulassen, baut der Wagen seine Leistung ähnlich eines Verbrenners auf und hält sie auch recht konstant, bevor dann ab etwa 120 km/h der Schub allmählich nachlässt. Das fördert nicht nur den Funfaktor, sondern macht die Dosierung der Power auch viel einfacher!

Puncto Handling lässt der Wagen angesichts seines Gewichts ohnehin kaum etwas anbrennen. Harten Anbremsen und hohe Kurventempi bringen den I-Pace nicht aus der Ruhe und die absolut gleichmässige Kraftverteilung des Allradantriebs sorgt für eine Stabilität, die ihresgleichen sucht. Das Tüpfchen auf dem I (wortwörtlich) wäre eine etwas hecklastigere Kraftverteilung im Dynamic-Modus.

Alter kaum spürbar
Angesichts der rasanten Technologiesprünge im Bereich der Elektroautos hält sich der I-Pace angesichts seines Alters und der eher dürftigen Modellpflege von Jaguar überraschend gut. Als Performance-SUV überzeugt er sogar mehr als viele neue Premium-Konkurrenten. Die ersten Modelle luden nur unerträglich langsam mit 7,4 kW an der Wallbox, das hat Jaguar dann aber relativ schnell auf branchenübliche 11 kW verbessert. Auch bezüglich Verbrauch haben die Engländer gearbeitet. Mein damaliger I-Pace Testwagen anno 2019 schlug mit einem Verbrauch von 29,0 kWh/100 km deutlich über die Stränge. Mittlerweile beträgt der Praxisverbrauch 24,7 kWh/100 km – zwar deutlich besser, aber unter heutigen Massstäben immer noch zu viel. Die realistische Reichweite liegt um 350 Kilometer, nachgeladen wird mit mittlerweile eher überholten 100 kW an der DC-Säule.

Abgesehen von Verbrauch und Ladetechnik wirkt der I-Pace aber nach wie vor sehr neu und erfreulich erfrischend. Die Performance überzeugt auf ganzer Linie und auch insgesamt kann der Brite noch sehr gut mit seinen Konkurrenten mithalten. Der Preis ist Jaguar-typisch deutlich Premium mit 113’700 Franken. Im Vergleich zur Konkurrenz kein völlig überrissener Preis, jedoch ist es halt so, dass man auch mit bestem Gewissen eine Occasion kaufen kann, ohne auf irgendetwas verzichten zu müssen. Nur erste Modelle mit einphasigem Laden sollten gemieden werden. Andererseits hat man, falls man dennoch einen Neuwagen möchte, eine gute Verhandlungsbasis, sodass man eventuell auch für einen nagelneuen I-Pace gute Konditionen herausholen kann.

Alltag 
Durch die Nutzung einer eigenen Plattform holt Jaguar mit dem I-Pace das Maximum aus der Karosserie heraus: Frunk für Ladeutensilien, luftiges Interieur, fürstliche Platzverhältnisse im Fond, grosser Kofferraum. Schlecht sind der grosse Wendekreis sowie die geringe Anhängelast von gebremst 750 Kilo.
Fahrdynamik 
Der Brite ist ein für ein Crossover ein Sportler durch und durch: Aufbauende Leistung, direkte und präzise Lenkung, starke Bremse ohne spürbare Rekuperation, hohes Gripniveau. Obwohl ein Stromer, behält er alle Tugenden von Jaguar bei.
Umwelt 
Trotz üppiger Leistung ist ein Stromverbrauch von 24,7 kWh/100 km kein Vorzeigewert, da müsste weniger Strom fliessen.
Ausstrahlung 
Am Design insgesamt hat der Lauf der Zeit nicht geschadet: Der I-Pace wirkt mit seiner sportlichen Silhouette immer noch sexy und brandaktuell.
Fazit 
+ Eigenständiges sportliches und gut gealtertes Design
+ Luftiges Interieur mit tollen Platzverhältnissen
+ Bequeme Sportsitze, tiefe Sitzposition, gute Ergonomie
+ Schnelles Infotainmentsystem, intuitive Bedienung
+ Haptik und Verarbeitungsqualität auf sehr hohem Niveau
+ Keine nervigen Assistenzsysteme
+ Starker Durchzug, aufbauende Leistung
+ Gut dosierbare Bremse
+ Präzise, rückmeldungsfreudige Lenkung
+ Hohes Gripniveau
+ Üppige Serienausstattung
– Hoher Stromverbrauch
– Geringe DC-Ladeleistung
– Kleiner Touchscreen vom Infotainmentsystem
– Grosser Wendekreis
– Kaum Anhängelast
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Jaguar I-Pace |
---|---|
Preis Basismodell / Testwagen | 97 000 CHF / 113 700 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | 90 kWh (brutto) / k.A. (netto) |
Max. Leistung | 294 kW |
Max. Drehmoment | 696 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,8 s |
Vmax | 200 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 25,2 kWh/100 km / C |
Test-Verbrauch / Differenz | 24,7 kWh/100 km / -2% |
WLTP-Reichweite | 408 km |
Ø Test-Reichweite | 350 km |
Länge / Breite / Höhe | 4,68 m / 1,90 m / 1,57 m |
Max. Ladeleistung (DC) | 100 kW |
Leergewicht | 2284 kg |
Kofferraumvolumen | 505 - 1163 l |




























