Eine Rarität ist der Kia Stinger nicht, man sieht ihn hin und wieder auf den Strassen. Aber wirklich häufig ist er nicht anzutreffen. Okay, möglichwerweise spricht das eine oder andere gegen ihn. Der Unterhalt wird wohl kein Schnäppchen sein. Ausserdem ist der V6-Biturbo ein trinkfester Geselle. Aber ansonsten: Come on! Der Stinger sollte eigentlich der Albtraum aller deutschen Konkurrenten sein! Er bietet fantastische Ausstattung, hohen Fahrkomfort und bestechende Fahrdynamik zum Preis eines top ausgestatteten deutschen Premium-Kompaktwagen. Und während andernorts der Fahrspass immer weniger hohe Prioritäten geniesst, haut Kia beim Facelift nochmals einen obendrauf!
Das Facelift-Modell zu erkennen ist gar nicht so einfach. Eigentlich haben die Koreaner bis auf neue Farben und Felgen nur die Rücklichter neu designt, die jetzt mit einem durchgehenden Leuchtband miteinander verbunden sind. Doch das macht nichts, denn der Stinger ist nach wie vor mit wunderschönen Proportionen und einem zeitlos-sportlichen Design gesegnet!
Höhere Wertigkeit
Im Innenraum haben die Koreaner wo nötig Hand angelegt. So wurde beispielsweise das Infotainmentsystem verbessert und mit einem grösseren Touchscreen ausgestattet. Leider fehlen aber nach wie vor Online-Dienste oder eine problemlos nutzbare Sprachsteuerung. Sympathisch ist dafür, dass Kia an den Knöpfen für die Klimasteuerung sowie an den analogen Instrumenten festhält!
Ansonsten wurde der Stinger gezielt aufgewertet. So kommen mehr Ziernähte zum Einsatz, mehr Aluminium und eine neue Ambientebeleuchtung. Auf Wunsch können die serienmässigen Ledersitze mit Alcantara bezogen werden, dann entfällt jedoch die Sitzlüftung. Ein bekanntes Problem ist ausserdem die Raumausnutzung: Für seine Grösse bietet der Stinger eher knappe Platzverhältnisse im Fond – vor allem beim Kopf – und im Kofferraum.
Ein echter Gran Turismo
Gestartet wird der Wagen stets im Comfort-Modus, der seinem Namen auch gerecht wird. Dank nicht übergrossen 19″-Felgen und einem Adaptivfahrwerk mit grosser Spreizung federt der Stinger zwar verbindlich, aber geschmeidig. Der V6 schnurrt in den Innenraum und überzeugt bereits mit hohem Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen. Ein niedriges Geräuschniveau und ein hochwertiges Ambiente runden den Komforteindruck ab.
Leider haben im Zuge des Facelifts bemutternde Assistenzsysteme in den Stinger Einzug gehalten. So muss beispielsweise der Spurhalteassistent – wie so oft – nach jedem Motorstart durch sekundenlangen Druck auf eine Taste deaktiviert werden. Noch mühsamer ist die Tempolimitwarnung, die ebenfalls nach jedem Motorstart erneut in einem Untermenü deaktiviert werden muss! Schade, dass Kia bei den jüngsten Modellen einem die Assistenzsysteme fast schon aufzwingt. Der Rest der Assistenzsysteme verrichtet seinen Dienst einwandfrei. Matrix-Fernlicht ist ein Goodie, welches in der üppigen Ausstattungsliste leider fehlt.
Fahrdynamik neu definiert
Auf dem Papier wurde der Stinger beim Paradesprint auf 100 km/h eine halbe Sekunde langsamer und das maximale Drehmoment liegt erst bei 4000 Umdrehungen an. Doch die Praxis ist eine andere Welt: Der Kia Stinger schiebt extrem willig an! Der Motor hat durchs ganze Drehzahlband eine ungeheure Kraft, erst kurz vor dem Begrenzer geht ihm die Luft aus. Ausserdem haut das Getriebe die Gänge im Sport-Modus mit Nachdruck rein. Ebenfalls mit Nachdruck verzögert die bissige Bremse, die mit dem immerhin knapp zwei Tonnen schweren Wagen zu Recht kommen muss.
Doch das ganz grosse Sahnestück beim Stinger ist der hecklastiger kalibrierte Allradantrieb und das neue Sperrdifferential an der Hinterachse. Im Sport-Modus fährt sich der Stinger schnell und mit einer schier unerschütterlichen Stabilität, wie bis anhin. Im Sport+-Modus mit ESP im Sport-Modus kommt eine neue Seite zum Vorschein: Der Stinger fährt quer! Dazu sind keine Manöver wie Anpendeln nötig, einfach früh genug aufs Gas und das Heck tänzelt leicht aus der Reihe. Fantastisch!
Das Beste aus allen Welten zum Spottpreis
Der Kia Stinger ist ein unschlagbares Gesamtpaket mit einem noch unschlagbareren Preis. Zwar wurde er im Laufe der Jahre fast 5000 Franken teurer und kostet jetzt 64’600 Franken. Doch in diesem Preis ist einfach alles drin enthalten. Puncto Haptik und Materialqualität ist der Stinger ausserdem auf Augenhöhe mit den deutschen Platzhirschen, auch wenn die dortigen Medien gerne etwas anderes behaupten.
Mein Fazit ist somit glasklar: Um Himmels willen, geht und kauft diese koreanische Granate, solange sie noch gebaut wird! Es gibt kein Auto mit einem besseren Preis-Leistungsverhältnis, sodass ausreichend Geld übrig bleibt, um den durstigen V6 zu füttern oder auf dem Zubehörmarkt eine anständige Auspuffanlage zu kaufen, die dem Sahnestück zu einem Motor die Stimme gibt, die er verdient.
Alltag
Obwohl der Stinger ein grosses Auto ist, sind die Platzverhältnisse nicht so überragend. Im Fond wird für grosse Mitreisende der Kopfraum knapp und der Kofferraum ist zu flach – ein klarer Tribut an das Design. Zudem ist der Wendekreis sehr gross und die Übersicht nach hinten sowie schräg hinten praktisch nicht vorhanden. Zum Glück ist die 360-Grad-Kamera Serie.
Fahrdynamik
Der Biturbo-Motor tritt ohne Anfahrschwäche oder grosse Verzögerung an. Die Kraftentfaltung ist top, erst ganz oben geht dem Motor die Luft aus. Das Getriebe reagiert souverän oder aggressiv, die Lenkung gibt sich sportlich-direkt. Im Sport+-Modus wird der Stinger ausserdem richtig hecklastig und lässt sich willig zu einem Powerslide bewegen!
Umwelt
Spritspartechnik ist bis auf ein Start-Stopp-System keines vorhanden und obwohl das Getriebe die Drehzahlen beim Cruisen sehr tief haltet, ist der Stinger alles andere als ein Verbrauchswunder. Der Testverbrauch liegt bei 11,5 l/100 km.
Ausstrahlung
Die Kie Stinger begeistert nach wie vor mit seiner zeitlosen Linienführung und dem eleganten Design. Schade, liegt der Motorsound nach wie vor hinter den Erwartungen zurück.
Fazit
+ Sehr sportliches und zeitloses Design
+ Erstklassige Ergonomie, sehr bequeme Sportsitzemit Sitzlüftung
+ Tadellose Verarbeitung, top Qualität, edle Materialien
+ Intuitives Infotainmentsystem, druckvolles Sound-System
+ Drehfreudiger V6-Biturbo
+ Perfekt schaltendes Getriebe
+ Bissige Bremsen
+ Direkte Lenkung mit sensationeller Rückmeldung
+ Unerschütterliche Stabilität, baut sehr viel Grip auf
+ Hecklastiger Allradantrieb, mit ESP Sport oder off sind Drifts möglich
+ Üppige Ausstattung
+ Bombastischer Preis
– Hohes Gewicht
– Zu dezenter Motorsound
– Kein manueller Modus fürs Getriebe
– Keine Online-Dienste
– Kofferraum und Kopffreiheit im Fond etwas knapp bemessen
– Miserable Rundumsicht
– Spurhalte-Assistent und Tempolimit-Warnung nach jedem Motorstart erneut aktiv
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Kia Stinger GT |
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Preis Basismodell / Testwagen | 64 600 CHF / 64 600 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Hubraum / Zylinder | 3342 ccm / V6 |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 269 kW bei 6000 r/min |
Max. Drehmoment | 510 Nm bei 4500 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,4 s |
Vmax | 270 km/h |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 10,8 l/100 km / 247 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 11,5 l/100 km / 263 g/km / +6% |
Länge / Breite / Höhe | 4,83 m / 1,87 m / 1,40 m |
Leergewicht | 1980 kg |
Kofferraumvolumen | 406 - 1114 l |
Bilder: Koray Adigüzel
Ganz ehrlich, obwohl Kia von mir aus nicht die Marke mit dem grössten Sex-Appeal ist, haben sie mit dem Stinger eine echte Kampfansage lanciert. Das Auto ist schlicht eine Wucht. In diesem Sinne: Ganz herzlichen Dank für diesen tollen Bericht!