Zuerst die gute Nachricht: Anders als bei der letzten Modellgeneration, als nur S/V60 in den Genuss einer Modifikation durch Polestar kamen, gibt es jetzt zusätzlich den XC60 als Polestar Engineered. Doch anstelle eines wütenden Verbrenners sind die Polestar-Modelle jetzt allesamt Plug-in-Hybride. Auf dem Papier wirkt das alles gut, denn es gibt mehr Leistung, mehr Drehmoment und einen deutlich tieferen Verbrauch. Doch Papier ist geduldig und gerade bei sportlichen Modellen sind Plug-in-Hybride nicht zwingend die beste Lösung. Geht der Plan auf oder sind sportliche Fahrer mit den neuzeitlichen Polestar-Modellen an der falschen Adresse?
Wie es für die Schweden typisch ist, wird Understatement gross geschrieben. Dass es sich beim hier gezeigten S60 um eine Sportlimousine handelt, ist auf den ersten Blick kaum ersichtlich: Kein Wunder: Bis auf die einzigartigen 20-Zoll-Felgen sowie den markanten goldenen Bremssätteln wurde an der Optik fast nichts geändert. Noch ein schwarzer Kühlergrill, eine schwarze Auspuffanlage, je ein Polestar-Logo vorne und hinten – fertig ist der S60 PSE, dessen voller Name Polestar Engineered lautet.
Schöner fahren
Das Interieur ist wie bei Volvo üblich erstklassig gestylt und verarbeitet. Im Falle des S60 Polestar ist das Interieur Schwarz mit Aluminium-Zierelementen und goldenen Sicherheitgurten. Die Haptik und die Verarbeitungsqualität sind bis ins letzte Detail perfekt, als sei dieses Auto für die Ewigkeit gebaut. Obwohl das Infotainmentsystem von Volvo in dieser Form schon etwas älter ist, wirkt es nach wie vor topmodern und ist intutiv zu bedienen. Lediglich Features wie eine freie Online-Navigation oder eine gescheitere Sprachsteuerung wären wünschenswert. Die Platzverhältnisse gehen in Ordnung, sind aber nicht besonders üppig. Sehr gut ist dafür der Seitenhalt der vorderen Sportsitze, aber diese gibt es auch bei jedem normalen S60 mit dem R-Design Paket.
In erster Linie ein Hybrid
Gestartet wird der schnelle Schwede stets im Hybrid-Modus. In diesem ausgewogenen Fahrmodus liegt der Fokus eher auf der ökologischen als auf der sportlichen Seite. Zwar spricht der Elektromotor konstruktionsbedingt sehr spontan an, aber um einen deutlichen Kick zu generieren, ist er einfach zu schwach. Im Kombiinstrument wird anhand des Powermeters dargestellt, wieviel Gas möglich ist, um im rein elektrischen Modus zu verbleiben. Einen Widerstand im Gaspedal gibt es aber nicht und wer spontan überholen will, kann dies ebenfalls nicht so spontan tun, da es bis zu zwei Sekunden dauert, bis die Elektronik den Benziner gestartet und das Getriebe den passenden Gang gewählt hat. Toll!
Wer Wert aufs rein elektrische Pendeln legt, kann den energieschonenden Pure-Modus anwählen. In diesem werden Klimaanlage, Nebenverbraucher und Antriebsstrang so sparsam wie möglich betrieben. Die WLTP-Normreichweite von 53 Kilometern ist wohl nur unter Idealbedingungen zu erreichen. Besser, man stellt sich auf eine elektrische Reichweite von 35 bis 40 Kilometer ein, die aber eine schonende Fahrweise erfordert.
Erst auf Knopfdruck scharf
Das ist ja alles schön und gut, aber dafür bedarf es keines Polestar Werkstunings. Dessen Mehrleistung von 10 kW ist angesichts der hohen Gesamtleistung übrigens nahezu vernachlässigbar. Viel wichtiger sind die adaptiven Öhlins-Stossdämpfer, die neu kalibrierte Lenkung sowie die Brembo-Bremsanlage. Und, sorry, aber davon ist in den auf Effizienz gepolten Fahrmodi nicht viel zu spüren. Wer Polestar spüren will, muss zwingend den Polestar-Fahrmodus anwählen. Dies empfiehlt sich auch, wenn man ein Überholmanöver plant, damit man so den Übergang zum Benziner-Start überbrücken kann.
Erst wenn beide Motoren permanent laufen und das ganze Setup sportlich eingestellt ist, fängt der Spass an. Der Elektromotor boostet vor allem unten raus, während der Benziner oben heraus den nötigen Schub bereitstellt. Dank des immensen Drehmoments sind viel weniger Schaltvorgänge erforderlich, was das manuelle Schalten überflüssig macht. Einfach Vollgas geben und die Elektronik managt den Rest!
Zu guter Letzt noch das nach wie vor eher vorsichtige ESP in den Sport-Modus stellen und den S60 PSE richtig fliegen lassen. Dank Allradantrieb ist Traktion kein Thema, die Bremse ist der harten Gangart mehr als gewachsen und die im Polestar-Modus ungnädig hart arbeitenden Dämpfer kaschieren das Gewicht von knapp über zwei Tonnen erstaunlich effektiv. Übrigens ist die volle Power stets gewährleistet: Die Batterie wird nie komplett leer gefahren und wenn der Stromvorrat zur Neige geht, die zusätzliche Kraft aber benötigt wird, wird der Akku kurzerhand vom Verbrenner geladen. Man kann also auch mit «leerem» Akku auf die volle Systemleistung zählen.
Trotzdem wars früher besser
Mit vier externen Ladevorgängen im Test erzielte ich einen Verbrauch von 7,1 l/100 km, zuzüglich Strom natürlich, doch dessen Verbrauch wird vom Auto nirgends angezeigt. Ich gehe davon aus, dass ein Endkunde über bessere Lademöglichkeiten verfügt als ich, was einen tieferen Verbauch ermöglichen würde. So oder so ist der Verbrauch deutlich besser als bei den alten, durstigen S60 Polestar-Modellen.
Doch wo bleiben die Emotionen? Die Wahrheit ist: auf der Strecke. Motorsound? Ist nicht der Rede wert. Schwach! Während die alten Polestar Volvos in der Grundeinstellung sportlich waren und das den Fahrer auch ständig spüren liessen, ist der neue S60 PSE ein glatt geschliffener Plug-in-Hybrid, ein Tribut an den modernen Zeitgeist. Selbst der effektive, aber leicht künstlich wirkende Polestar-Modus vermag nicht an das einnehmende Fahrfeeling der letzten Generation anzuknüpfen. Und spürbar performanter ist die Neuauflage trotz deutlich mehr Leistung auch nicht, weil die Elektrifizierung rund 250 Kilo mehr Gewicht ins Auto bringt.
Andere Zielgruppe
Ich denke, dass mit der Neuauflage eine andere Zielgruppe angesprochen wird. Der neue S60 Polestar ist sparsamer, kann wie ein ganz normaler S60 gefahren werden und im Polestar Modus ordentlich die Krallen ausfahren. Doch das rebellische, ungestüme, dieses «kick mich» ist im Gegensatz zum Alten komplett abhanden gekommen. Wer sich ohnehin für einen Plug-in-Hybrid interessiert, findet mit dem S60 PSE einen, der nebst der Öko-Schiene auch ganz anders kann. Wer jedoch einen alltagstauglichen Sportler sucht, wird mit dem Neuen wahrscheinlich nicht mehr glücklich. Der Preis des komplett ausgestatteten Testwagens liegt bei 93’630 Franken und der Polestar-Aufpreis zum normalen T8 Plug-in-Hybrid beträgt 8200 Franken.
Alltag
Der S60 PSE bietet die durchschnittlichen Platzverhältnisse einer Mittelklasse-Limousine. Die Kofferraum-Öffnung ist ziemlich schmal geraten.
Fahrdynamik
Im Polestar Fahrmodus geht ordentlich die Post ab, der Schub ist beachtlich und ansatzlos! Die Bremse lässt sich sehr gut dosieren und das Fahrwerk hält die Limousine brilliant in der Spur. Traktion ist dank des Allradantriebs garantiert. Diese Performance legt die Limousine aber nur in diesem Fahrmodus an den Tag, ansonsten ist der Unterschied frappant und der Kickdown dauert eine kleine Ewigkeit. Der Motorsound ist dürftig.
Umwelt
Wie immer bei Plug-in-Hybriden hängt der Verbrauch stark von den Ladungen ab. Die zusätzliche Kraft vom Elektromotor entlastet den ansonsten durstigen Benziner aber spürbar. Im Test mit vier Ladungen erzielte ich einen Verbrauch von 7,1 l/100 km.
Ausstrahlung
Das typisch schwedische minimalistische Design wird durch gezielte sportliche Akzente aufgepeppt. Eine Limousine abseits des Mainstreams!
Fazit
+ Elegantes, dezent-sportliches Design
+ Exzellente Qualität im gesamten Innenraum
+ Erstklassige Sitze
+ Exzellente Geräuschdämmung
+ Äusserst intuitives Infotainmentsystem
+ Starkes Boosten durch den E-Motor
+ Im Polestar Modus knallhartes Handling
+ Starke Bremsen
+ Vollständiges Fahrassistenz-Paket
– Hohes Gewicht
– Kickdown kommt sehr verzögert (Ausnahme: Polestar Modus oder wenn beide Motoren bereits aktiv sind)
– Lausiger Motorsound
– Differenzierung ist weniger stark als beim Vorgänger-Modell
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Volvo S60 T8 Polestar Engineered |
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Preis Basismodell / Testwagen | 77 950 CHF / 93 630 CHF |
Antrieb | Benzin Plug-in-Hybrid, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1969 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbo- und Kompressoraufladung + Elektromotor |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 298 kW bei 6100 r/min |
Max. Drehmoment | 670 Nm bei 2200 - 4500 r/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 4,4 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
Elektrische Reichweite nach WLTP | 53 km |
Batteriekapazität | 11,6 kWh |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 2,7l + 16,8 kWh (Benzinäquivalent: 4,6 l/100 km) / 35 g/km / A |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 7,1 l/100 km / 162 g/km / +54% |
Länge / Breite / Höhe | 4,76 m / 1,85 m / 1,43 m |
Leergewicht | 2051 kg |
Kofferraumvolumen | 442 l |
Bilder: Vesa Eskola, Koray Adigüzel
Guter Beitrag!