Es ist schon krass, wie man Autos je nach Einsatzzweck und Marke beurteilt. Die Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio ist so ein Paradebeispiel. Seit acht Jahren ist die scharfe Giulia erhältlich und die Änderungen, welche die Italiener in dieser Zeit implementiert haben, würden andere Hersteller innert zwei bis drei Jahren durchführen. Bei einer anderen Marke würde man angesichts so wenig Fortschritt die Nase rümpfen, doch bei Alfa Romeo ist man irgendwie einfach glücklich, dass es eine Lady wie die schnelle Giulia überhaupt gibt. Wobei– allzu lange wird ihr Produktionszyklus nicht mehr dauern, da auch Alfa Romeo sich der Elektromobilität unterwirft. Daher ist die Giulia Quadrifoglio eine heute selten Chance für alle Fahrenthusiasten, die gerne selber fahren und sich nicht von zig Assistenzsystemen bevormunden lassen möchten!
Um zu erkennen, dass es sich um eine neue Giulia QV handelt, braucht man beinahe Expertenwissen. Tipp: Die Frontscheinwerfer verraten es. Sie leuchten jetzt in LED-Technik und umfassen obendrein die Matrix-Technologie. Ausserdem wurden die Lüftungsgitter an der Frontschürze angepasst und die Einleger im Grill leicht verändert – aber das merkt man wirklich nur, wenn ein älteres Modell direkt nebenan steht. Der ganze Rest ist komplett unverändert auf dem Stand von 2016. Kann man machen, vor allem bei Alfa Romeo, denn die elegante und leichtfüssige sportliche Präsenz, welche dieses Auto ausstrahlt, erreicht auch so manche Neuentwicklung bei weitem nicht.
Minimalistisch digital
Dass die Giulia nicht mehr die jüngste Dame ist, wird im Interieur deutlich. Das Infotainmentsystem wurde zwar im Laufe der Zeit mit Kacheln aufgewertet, ausserdem gefällt die redundante Bedienung mittels Touchscreen und Dreh-Drücker. Doch der Screen ist für heutige Verhältnisse arg klein und auch die Reaktionszeit des Systems ist eher unterdurchschnittlich. Weiter im Text: Online-Navigation ist nicht existent und an der Sprachsteuerung verzweifeln auch geduldige Menschen. Das Cockpit ist volldigital und ermöglicht den Wechsel zwischen drei Darstellungen, darüber hinaus sind kaum weitere Einstellungen möglich.
Insgesamt gefällt das Interieur mit seiner Leichtigkeit und vielen physischen Knöpfen, sodass die Bedienung keinerlei Rätsel aufgibt. Die Materialien sind wertig, die Verarbeitungsqualität hat Luft nach oben. Die Sitzposition ist angenehm tief, jedoch lässt sich die Neigung der Sitzfläche leider nicht einstellen, sodass die Beine etwas unbequem in der Luft hängen. Auch im Fond ist es aufgrund der beschränkten Platzverhältnisse nicht sonderlich bequem. Lange Rede, kurzer Sinn: Während das Blechkleid definitiv ein Kaufgrund ist, ist es das Interieur eher weniger.
Verbindlich, aber zahm
Gestartet wird im Neutral-Modus des DNA-Wählsystems. Der Motorstart offenbart bereits, dass die Stimmgewalt der Giulia über die Jahre abgenommen hat, aber das war zu erwarten. Die Handschaltung wurde bereits vor Jahren eingestellt, was diese Fahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu gesuchten Exemplaren macht. Jetzt aber: Automatik auf D und los geht’s. Dass im Auto massives sportliches Potenzial steckt, wird schnell deutlich: Die Lenkung ist präzise und sehr direkt übersetzt und das Fahrwerk geht stets mit einer gesunden Härte ans Werk.
Zurückhaltend arbeiten dafür Motor und Getriebe. Die hohe Leistung ist im alltäglichen Betrieb nur bedingt spürbar und wer noch weniger von der Power spüren möchte, kann in den All Wheater Modus schalten, welcher auf maximale Traktion und Sicherheit bedacht ist und auch als eine Art Eco-Modus fungiert. Was den Fahrkomfort betrifft, so muss man in der Giulia mit deutlichen Reifengeräuschen rechnen. Windgeräusche halten sich zurück und die Federungshärte ist in den zahmeren Modi grundsätzlich gut erträglich.
Überschäumendes Temperament
In den sportlichen Modi ändert die schnelle Giulia ihr Wesen massiv. Bereits im Dynamic-Modus weht ein anderer Wind: Das Fahrwerk wird härter (das kann aber mittels Knopfdruck wieder geändert werden) und Motor und Getriebe reagieren deutlich spontaner. Pro-Tipp: Unbedingt in den manuellen Modus wechseln, denn die riesigen, feststehenden Aluminiumpaddels mit sattem Klickgeräusch sorgen für eine erhebliche Befriedigung. In der zweiten Drehzahlhälfte wird der Sound auch deutlich sonorer und aggressiver und erinnert mehr an früher, auch wenn die Eskalationsstufe eine Stufe niedriger ist. Der Motor ist ein Ausbund an Drehfreude, er explodiert ab rund 4000 Umdrehungen förmlich und dreht bis auf rund 7000 Umdrehungen.
Doch Giulia wäre nicht Giulia, wenn sie es ihrem Fahrer zu einfach machen würde. Der Heckantrieb in diesem Alfa will definitiv gebändigt werden. Bereits im Dynamic-Modus mit noch aktivem ESP regelt das ESP erst verzögert, sodass bei zu forciertem Gaspedaleinsatz, insbesondere am Kurvenausgang, das Heck leicht ins Zucken kommt oder sogar leicht auskeilt. Wer es weiss und sucht, wird damit bestens unterhalten, doch wer von einem narrensicheren Auto ausgeht, wird unter Umständen heftig überrascht, wie lebendig das Heck ist. Der Grip ist speziell in lang gezogenen Kurven aber hoch, doch beim starken rausbeschleunigen aus engen Kurven muss der Gasstoss wohlüberlegt sein.
Der ultimative Tanz mit Giulia auf der Rasierklinge bietet der exklusiv im Quadrifoglio-Modell verfügbare Race-Modus, welcher das ESP aber komplett deaktiviert. Ein Sport-ESP hat Alfa Romeo in all den Jahren nie implementiert. Das Aggressionsplus von Motor und Getriebe ist in diesem Modus abermals deutlich spürbar, ausserdem wechsel das Cockpit auf eine Anzeige mit zentralem Drehzahlmesser – schade, dass diese dem Race-Modus vorenthalten ist.
Der Race-Modus bietet das, was immer mehr modernen Autos abhandenkommt. Diese Präzision und maximale Fokussierung auf das Fahren. Das Auto lässt einen alles spüren, frei nach dem Motto: Aktion – Reaktion. Aufgrund des relativ niedrigen Gewichts fühlt sich das Auto in Kurven spielerisch leicht an, während die Bissigkeit des Biturbo-Triebwerks bei hohen Drehzahlen selbst gewisse Elektroautos nicht erreichen. Doch man muss wissen, was man tut. Die Bedingungen sollten ideal sein, ansonsten läuft man Gefahr, von der Giulia niedergerungen zu werden, denn wenn das Heck kommt, muss man schnell sein. Und das Heck kommt, definitiv, eher früher als später.
Die Tage der Fahrmaschine sind gezählt
Noch ist die Giulia QV für knapp 110’000 Franken erhältlich. Wer nicht genug haben kann, kann für 28’000 Franken das Competizione-Paket ordern, welches Carbon-Keramik-Bremsen, Carbon-Voll-Schalensitze von Sparco, eine Titan-Abgasanlage von Akrapovič, ein Carbon-Dach sowie nochmals leichtere Felgen umfasst. Doch auch Alfa Romeo hat sich der Elektrifizierung verschrieben und die Tage von Giulia und Stelvio sind gezählt. In gewissen Punkten merkt man der Giulia QV ihr Alter zwar an, aber ihr ungefiltertes, temperamentvolles, rohes und vor allem entdigitalisiertes Fahrverhalten machen sie begehrenswerter denn je. Kaum ein anderes Auto in diesem Segment zelebriert das Fahren so sehr.
Alltag
Vorne sitzt Giulia wie ein Massanzug – eng, aber bequem. Reihe zwei und der Kofferraum sind jedoch unterdurchschnittlich geräumig.
Fahrdynamik
Der explosive Biturbomotor, das aggressive und sensible Handling sowie die riesigen Alu-Schaltpaddels sorgen für einen Fahrspass der Extraklasse. Der Grip ist mit Heckantrieb so eine Sache, er kann bei optimalen Bedingungen sehr gut sein, aber auch eher mässig. Zu wissen, wann das ESP hilft und wann nicht, ist in diesem Auto elementar.
Umwelt
12,2 l/100 km sind kein Ruhmesblatt, aber von nichts kommt schliesslich nichts. Bei gemächlicher Fahrweise ist ein Verbrauch unterhalb von zehn Litern möglich.
Ausstrahlung
Nur wenige Autos altern so gut wie die Giulia. Das Auto geniesst unter Kennern extrem hohes Ansehen und wirkt für Laien einfach adrett.
Fazit
+ Emotionales, gut gealtertes Design
+ Keine nervigen Assistenzsysteme
+ Hochwertige Materialien
+ Tiefe Sitzposition
+ Sensationelle Schaltpaddels
+ Unkompliziertes Handling im Alltag
+ Explosiver, drehgeiler Motor mit tollem Sound
+ Gieriges, agiles Einlenkverhalten
+ Bissige Bremse
+ Mitreissendes Fahrerlebnis
+ Sehr gutes Matrix-LED-Licht
– Veraltetes Infotainmentsystem mit mühsamer Navigation und unbrauchbarer Sprachsteuerung
– Begrenzte Platzverhältnisse im Fond
– Sitzkissen-Winkel vorne nicht justierbar
– Verarbeitungsqualität nicht überall dem Preis entsprechend
– Kein Individual-Modus, kein ESP-Sport-Modus
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio |
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Preis Basismodell / Testwagen | 109 990 CHF / 109 990 CHF |
Antrieb | Benzin, Heckantrieb |
Hubraum / Zylinder | 2891 ccm / V6 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Biturbomotor |
Getriebe | 8-Gang-Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 382 kW bei 6500 r/min |
Max. Drehmoment | 600 Nm bei 2500 r/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 3,9 s |
Vmax | 307 km/h |
WLTP-Verbrauch / CO?-Emissionen / Energieeffizienz | 10,6 l/100 km / 237 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2-Emissionen / Differenz | 12,2 l/100 km / 273 g/km / +15% |
Länge / Breite / Höhe | 4,64 m / 1,87 m / 1,43 m |
Leergewicht | 1735 kg |
Kofferraumvolumen | 480 l |
Bilder: Koray Dollenmeier