Wollte Opel den Ampera-e etwa nicht? Natürlich schon, schliesslich wurde der kompakte Stromer mit einer NEFZ-Reichweite von 520 Kilometern letztes Jahr als Reichweiten-Champion angepriesen – was er in seinem Segment immer noch ist. Will Opel den Ampera-e jetzt als PSA-Mitglied nicht mehr? Natürlich schon, schliesslich ist er immer noch der einzige reine Stromer im Portfolio und hilft so, den Flottenverbrauch zu senken. Trotzdem ist der Ampera in meinen Augen kein richtiger Opel, sondern ein amerikanischer Chevrolet Bolt, der das Opel-Logo trägt. Zwar wird er zu Recht hierzulande vermarktet und er hat durchaus seine Reize, aber der Feinschliff seitens Opel fehlt gleich an verschiedenen Stellen.
Das fängt beim Design an. Nicht, dass er etwas hässlich wäre. Immerhin sieht der kurze, recht hoch gebaute Ampera ganz adrett aus. Nichts ist schlimmer als hässliche E-Mobile, die mit ihrem krampfhaft gewollten Anderssein sämtliche Geschmäcker vergessen. Das Problem ist eher, dass sich das Elektroauto in keinster Weise an Opel-Designelementen orientiert, weder innen, noch aussen. Der Volkswagen-Konzern macht es vor, wie man mit bis zu vier Marken Vierlinge bauen kann, die trotz Ähnlichkeiten alle ihre eigene Identität haben. Die hat der Ampera natürlich auch, nur eben jene von Chevy und nicht die von Opel. Zumindest eigenständige Schürzen und Lichter hätten drin liegen sollen. Das ist jedoch meine Meinung, letztendlich zählt das Gesamtpaket und da kann sich der Stromer durchaus sehen lassen. Wie es seitens Opel nämlich heisst, wirkt sich ein einheitliches Design positiv auf den Preis aus, was natürlich auch ein Argument ist.
Sehen lassen können sich auf den ersten Blick auch das Cockpit und das Interieur. Trotz sehr kompakten Aussenabmessungen ist es innen luftig: Keine Mittelkonsole vorne, kein Kardantunnel hinten, tolle Platzverhältnisse im Fond und gigantische Ablageflächen, wenngleich sie etwas besser unterteilt sein dürften. Das digitale Cockpit informiert mit allem nötigen und ist ansprechend gestaltet. Dasselbe gilt für den grossen Touchscreen in der Mitte. Das Startmenü kann individuell angepasst werden, die Bedienung ist sehr intuitiv, die Grafiken und Animationen sind schön gestaltet. Sehr schön ist auch das Perlmutt-artige und schimmernde Zierelement, welches sich schwungvoll durch das Cockpit zieht.
Davon dürfte es gerne mehr sein, denn das ganze restliche Interieur ist mit schmucklosem, grauem Hartplastik ausgekleidet – laut Opel, da dies das leichteste Material ist und so das Gewicht nicht noch weiter in die Höhe treibt. Zudem ist auch die Verarbeitungsqualität verbesserungswürdig, je nach dem, wo man hin langt, verbiegen sich ganze Hartplastik-Teile. Nicht nur unschön, sondern nervig ist die billige Laderaumabdeckung. Deren Befestigungen haben sich im Test mehrmals gelöst, die Wieder-Befestigung ist eine fummelige Angelegenheit. Die Lösung findet sich im Zubehör-Katalog unter «stabile Laderaumabdeckung» für 263 Franken. Soll das jetzt witzig oder traurig sein?
Witzig ist dafür auf alle Fälle der Antrieb. Der 360 Nm starke Elektromotor generiert bis zu 150 kW Leistung und die einzigen, die das nicht lustig finden, sind die Vorderreifen. Bei Vollgas – äh, Vollstrom – aus dem Stand hat die Traktionskontrolle alle Hände voll zu tun. Wer sie deaktiviert, und progressiv beschleunigt, erntet das beste Ansprech- und Beschleunigungsverhalten. Vor allem im Sport-Modus reagiert der Ampera sehr sensibel auf Beschleunigung und fühlt sich stärker an, als er tatsächlich ist! Zwischenspurts, sei es zum schnellen Überholen oder einfach aus Jux, machen in diesem Auto Laune!
Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass man endlich nicht mehr andauernd die Reichweitenanzeige im Auge behalten muss. Auch längere Autobahnetappen mit Tempo 130 stellen den Ampera vor keine grösseren Probleme. Im Test kam das Auto trotz recht hohem Autobahnanteil und fälschlicher Winterbereifung stets auf mindestens 350 Kilometer Reichweite. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass man das Auto nie auf 0 fährt, sprich, man sollte etwa 50 Kilometer Reserve abziehen. Nichtsdestotrotz sollte es mit geringerem Autobahnanteil und Sommerbereifung möglich sein, eine reale Reichweite von über 400 Kilometer zu erzielen, was für einen Kompaktwagen ausreichend ist.
Im Alltag lässt sich der Stromer zudem meistens ohne Bremspedal fahren. Möglich macht dies eine Wippe auf der linken Rückseite des Lenkrads. Damit wird die Rekuperation gesteuert. Man kann auch auf dem Gas bleiben und die Wippe ziehen, dann kann die Verzögerung stufenlos reguliert werden. Mit etwas Übung hat man den Dreh raus und kann jedes Bremsmanöver mit der Wippe durchführen und gleichzeitig Strom erzeugen. Der ausgereifte Antrieb und die hohe Reichweite des Ampera sind definitiv Benchmark im Segment. Leider besteht dafür andernorts Luft nach oben – teilweise viel Luft.
Zum Beispiel beim Handling. Durch das recht hohe Leergewicht von 1700 Kilo ist das Fahrwerk keine Sänfte, was soweit alles in Ordnung wäre, würde das Kurvenhalten entsprechend ausfallen. Das tut es aber ganz und gar nicht. Trotz tiefem Schwerpunkt schaukelt sich der Stromer sofort auf und das ESP muss zu Hilfe eilen. Die Untersteuertendenz in schnell gefahrenen Kurven ist übermächtig und mit der teigigen Lenkung macht das Kurvenräubern definitiv keinen Spass. Hier merkt man: Das ist ein Ami, kein Opel. Schade, spart man sich in Rüsselsheim die Feinarbeit für Lenkung und Fahrwerk. Wie es seitens Opel heisst, wurde das Fahrwerk durchaus an den europäischen Geschmack angepasst. Da möchte ich aber nicht wissen, wie sich der Chevy Bolt in Kurven verhaltet…
Auch bei den Assistenzsystemen ist man nicht ganz auf der Höhe. Ein Abstandstempomat sucht man vergebens, was seltsam anmutet, da Hardware an Bord ist, die den Abstand zum Vordermann in Sekunden im Infodisplay anzeigt. Dass es ausgerechnet in einem Elektroauto nur für Xenonscheinwerfer mit träger Fernlichtautomatik gereicht hat, tut gleich doppelt weh. In einen Ampera-e gehören LED-Scheinwerfer!
Last but not least muss fürs Laden genügend Zeit einkalkuliert werden, wenn man nicht gerade eine 50-kW-Schnellladestation vor sich hat. Da der Ampera nur einphasig laden kann, vergehen selbst an einer – theoretisch 22 kW starken Ladestation – über zehn Stunden für eine Vollladung. Mit der von Opel angebotenen 3,6-kW-Wallbox für zu Hause dauert es sogar noch viel länger. Das ist nicht gerade alltagstauglich für solche, die täglich längere Strecken fahren, da dann zu Hause der tagsüber verfahrene Strom über Nacht gar nicht mehr nachgeladen werden kann.
Am Ende bleibt der Eindruck, das Opel zwar stolz auf seinen Stromer ist, allerdings erfüllt er nicht alle Tugenden des Herstellers. Die einfach gehaltenen Sitze, die mässige Verarbeitung sowie das unsportliche Handling sind gar nicht Opel-like. Schade, denn das Potenzial mit dem kräftigen Antrieb ist vorhanden. Allerdings sind die Tage des Ampera meiner Meinung nach ohnehin bereits gezählt. Der im Verlauf des Jahres 2019 kommende Corsa, der auch als Corsa-e rein elektrisch angeboten wird, (m Gegensatz zum Ampera eine Opel-Entwicklung auf PSA-Basis) bedeutet wohl das Aus des Ami-Stromers. Bis dahin ist der 52’700 Franken teure und weit kommende Ampera-e, den es nur mit Komplettausstattung gibt, dennoch eine gute Wahl für alle, die keinen Wert auf sportliches Handling legen.
Alltag
Für seine Grösse bietet der hoch gebaute Stromer jede Menge Platz und gigantische Ablageflächen. Allerdings stört die sehr billige Kofferraumabdeckung. Die langen Ladezeiten schmälern zudem die Freude am gelungenen Antrieb.
Fahrdynamik
Zwischensprints sind im Ampera eine coole Sache, Schub und Ansprechverhalten machen Laune. Doch das mässige Lenkgefühl und das enorme Aufschaukeln der Karosserie ersticken sportliche Ambitionen ziemlich schnell.
Umwelt
13,6 kWh/100 km soll der Stromer verbrauchen, im Test waren es mit Winterreifen (grösserer Rollwiderstand) und viel Autobahn 15,6 kWh/100 km. Ein guter Wert und wer nicht so oft auf Autobahnen fährt, dürfte die WLTP-Reichweite von 380 Kilometer locker überbieten.
Ausstrahlung
Abgesehen davon, dass er nicht die Opel-Designsprache spricht, ist der Ampera sehr schlicht designt. Doch besser so, als um jeden Preis aufzufallen, bloss weil man einen E-Motor unter der Haube hat.
Fazit
+ Unauffälliges Design, nicht krampfhaft elektrisch
+ Hervorragende Platzverhältnisse, viele und grosse Ablagen
+ Übersichtliches Cockpit
+ Grosser Touchscreen, simple Bedienung, Smartphone-Integration
+ Stufenlos regulierbare Rekuperation, One-Pedal-Driving
+ Starker Schub, tolles Ansprechverhalten
+ Alltagstaugliche Reichweite, auch mit Autobahnanteilen
+ Fairer Preis mit Komplettausstattung
– Lange Ladezeiten aufgrund einphasigen Ladens
– Schwammiges, unsportliches Handling
– Mässige Verarbeitungsqualität
– Sitze stützen nicht sehr gut
– Billige und fummelige Kofferraumabdeckung
– Keine LED-Scheinwerfer
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Opel Ampera-e |
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Preis Basismodell / Testwagen | 52 700 CHF / 52 700 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Frontantrieb |
Akkukapazität | 60 kWh |
Max. Leistung | 150 kW |
Max. Drehmoment | 360 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 7,3 s |
Vmax | 148 km/h |
NEFZ-Verbrauch / Energieeffizienz | 13,6 kWh/100 km / A |
Test-Verbrauch / Differenz | 15,6 kWh/100 km / +15% |
NEFZ-Reichweite / WLTP-Reichweite | 520 km / 380 km |
Ø Test-Reichweite | 375 km (auf Winterreifen) |
Länge / Breite / Höhe | 4,16 m / 1,77 m / 1,59 m |
Leergewicht | 1701 kg |
Kofferraumvolumen | 381 - 1274 l |
Bilder: Koray Adigüzel, auto-illustrierte (4)
Meine Freundin hat sich so einen Opel kürzlich in Aargau gekauft und ist ganz zufrieden damit. Sende ihr gleich diesen Beitrag. 🙂