Die Zeichen stehen auch bei Maserati, bislang unbestritten ein Garant für sensationellen Motorklang, auf Strom. Nebst dem SUV Folgore geht auch der GT Granturismo als Folgore (italienisch für Blitz) als Elektrovariante an den Start. Noch müssen die Petrolheads aber nicht in Schnappatmung verfallen, denn beide Modelle gibt es baugleich auch als Verbrenner ohne Elektrounterstützung. Aber die langfristige Ausrichtung ist dennoch klar auf Elektromobilität ausgerichtet. Der Maserati Granturismo ist einer der wenigen Luxus-Vertreter der derzeitigen Elektroautos und obwohl das charakteristische Triebwerk fehlt, schafft es Maserati, dem Auto genügend Eigenständigkeit und Charakter mit auf den Weg zu geben!
Der Granturismo ist eine komplette Neuentwicklung, dennoch knüpft das Design an den ikonischen Vorgänger an: Lange, flache Haube sowie ein knackiges und breites Heck. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Design auch in über zehn Jahren noch als frisch und modern empfunden wird, es ist schliesslich ein Italiener. Die beiden Verbrenner-Varianten sind optisch noch etwas böser gestaltet, insbesondere die Front vom Folgore schreit weniger nach Angriff. Wer seinen Granturismo in etwas Besonderes verwandeln möchte, kann eine sogenannte Fuoriserie-Lackierung (italienisch für ausserhalb der Serie) wählen. Maserati hat ein paar ganz besondere Lackierungen in petto, die aber mit bis zu 30’600 Franken (nein, hier ist wirklich keine 0 zu viel) Franken so viel kosten wie ein Fiat.
Danke für die Sitzposition
Maserati ist offenbar einer der ganz wenigen Hersteller, die begriffen haben, wie die Sitzposition in einem Auto, das kein SUV ist, zu sein hat: tief. Deswegen ist der Akku T-förmig im Mitteltunnel und unterhalb der Rückbank statt flach im Unterboden verbaut – der Porsche Taycan lässt grüssen. Dieses Layout lässt eine tiefe Sitzposition zu und ermöglicht im Granturismo eine Ergonomie, die eines Sportwagens würdig ist. Man sitzt vorne richtig schön im Auto integriert und wider Erwarten haltet man es sogar als erwachsene Person einigermassen gut eine Weil auf der Rückbank aus – das Ein- und Aussteigen ist aber keine schöne Übung.
Es ist schön zu sehen, dass Maseratis Verarbeitungsqualität mittlerweile so hoch wie das Preisschild ist, das war in der Vergangenheit nicht immer so. Im Granturismo aber sind Haptik und Qualität auf absolutem Luxusniveau und viele Details zeugen davon, dass man hier in einem exklusiven Auto sitzt. Das Interieur-Trim entspricht der Standard-Version, auch hier gilt: Es gibt diverse Farben zur Auswahl. Kritik muss das Infotainmentsystem einstecken. Es ist zwar ganz okay, auch was die Sprachsteuerung angeht, aber das hier ist ein Maserati. Da darf es mehr sein als «ganz okay» und vor allem ist es ein Witz, dass ein Fiat 500 über nahezu dasselbe System verfügt. Synergien (Maserati gehört zum Stellantis-Konzern) sind ja schön und gut, aber man kann es auch übertreiben.
GT wird gross geschrieben
Standardmässig startet der Luxus-Stromer im Fahrmodus GT, der höchste Alltagstauglichkeit verspricht und die Motorleistung auf 80 Prozent der Maximalleistung begrenzt. Wie auch andere enorm leistungsstarke Elektroautos lässt sich auch der Granturismo in diesem Modus ganz zahm und gemütlich bewegen. Der Wagen reagiert dabei auch, wie heftig auf das Gaspedal getreten wird: Wird schnell darauf gedrückt, wird viel Leistung freigegeben, wird hingegen progressiv beschleunigt, wird die Leistung allmählich linear steigend abgegeben. Untermalt wird das Beschleunigen von einem dezenten, künstlichen Elektro-Sound, der nicht deaktivierbar, aber auch überhaupt nicht störbar ist. Glücklicherweise versucht Maserati im Gegensatz zu Abarth gar nicht erst, Verbrenner-Sound über Lautsprecher zu generieren.
Damit der Fahrkomfort ein gemütliches Niveau erreicht, ist der Wagen dank Akustikverglasung extrem leise, ausserdem federn die adaptiven Dämpfer einigermassen weich, wobei die sportliche Seite nie abhandenkommt. Gleiches gilt für die Lenkung, die unabhängig vom Fahrmodus präzise und mit viel Rückmeldung von der Vorderachse arbeitet. Auch beim Folgore halten die Italiener an den formschönen, gefrästen Schaltwippen fest, die in diesem Auto natürlich nicht das Getriebe, sondern die Rekuperation steuern. Eine automatische, radarbasierte Rekuperation ist indes leider nicht verfügbar.
Maserati preist den Granturismo nicht nur als Sportler, sondern auch als Reiseauto an. Sehr positiv überrascht bin ich vom Stromverbrauch. Maserati war noch nie für sparsame Autos bekannt, aber der Granturismo Folgore kann bei gemässigtem Fahrstil mit rund 22,0 kWh/100 km gefahren werden, was angesichts der Leistung ein recht guter Wert ist. Dass die Reichweite in der Praxis dennoch 350 Kilometer kaum überschreitet, hängt mit dem Akku zusammen, der für die Luxusklasse mit 83 kWh Nettokapazität eher unterdurchschnittlich ausfällt. Maserati möchte das wohl mit einer DC-Ladeleistung von 270 kW kompensieren, doch im Test lud der Wagen bei SoC 22% lediglich mit 97 kW. Da scheint wohl noch Luft nach oben zu bestehen.
Sport ist Mord (für Zartbesaitete)
Geschärft wird das Wesen des Autos im Sport-Modus, der auch die maximale Leistung freigibt. Da von den insgesamt drei Elektromotoren zwei an der Hinterachse verbaut sind, ergibt sich als Folge daraus ein hecklastiger Allradantrieb. Der Antritt ist aufgrund 1350 (!) Nm entsprechend heftig, einatmen ist in der ersten Sekunde nach dem Drehmomentüberfall schwierig. Doch anstatt wie bei vielen anderen E-Modellen nach dem ersten Katapultschub langsamer zu werden, baut der Granturismo die Leistung weiter auf, was an den guten alten Verbrenner erinnert und den Fahrspass in einem Elektroauto auf ein neues Niveau hebt. Der brachiale Antritt und der darauffolgende Leistungsanstieg sind jedenfalls so heftig, dass mancher Magen das nicht auf Dauer mitmacht.
Der vorhin erwähnte künstliche Sound ist im Sport-Modus deutlich verstärkt, er kann aber auf das Niveau des GT-Modus zurückversetzt werden. Mir persönlich ist selbst im Granturismo – wie bei allen anderen E-Autos auch – der künstliche Sound nach kurzer Zeit verleidet. Und obwohl selbst die stärkere Verbrenner-Variante Trofeo bezüglich Längsbeschleunigung dem Folgore hinterherhinkt, habe ich mir mehrmals ausgemalt, wie ein Trofeo wohl klingen würde. Die Assoziation ist hausgemacht – wäre kein Dreizack auf dem Auto, würde man sich wohl weniger Gedanken über fehlenden Motorsound machen.
Abgesehen von elektrischen Hypercars gehört der Granturismo zu den ersten rein elektrischen Sportwagen in der Oberklasse, da der Porsche Taycan im Gegensatz zum Italiener ein Viertürer ist. Und der Sport-Modus wird nicht nur aufgrund der explosiven Leistung seinem Namen gerecht: Der Maserati Granturismo lenkt willig und agil ein, das Auto gibt viel Feedback und aufgrund toller Gewichtsverteilung kommt der Wagen fast nie ins Untersteuern. Der Grip in Kurven ist extrem, das Auto ist trotz hecklastigem Allradantrieb sehr neutral. Dass das im Sport-Modus aktive ESP selbst bei forcierter Fahrt fast nie eingreift, spricht ebenfalls für die exzellente Abstimmung dieses Autos.
Doch so faszinierend schnell und sportlich der Granturismo auch ist, ich fand es anstrengend, sein Potenzial auf Land- und Bergstrassen auszunutzen – und zwar deshalb, weil man permanent die angegebene Geschwindigkeit mehr oder weniger überschreitet und auch, weil man teilweise so schnell auf Kurven zufliegt, dass die Bremsungen dann auch umso härter ausfallen. Diese lässt dafür kaum etwas von der Rekuperation spüren, stattdessen punktet sie mit tollem Druckpunkt und hoher Belastbarkeit.
Folgore preislich in der Mitte
Die Elektrovariante Folgore ist die Stärkste und Schnellste, ausserdem sind Akku und E-Motoren beim Folgore für Maserati Neuland – ganz im Gegensatz zu den Verbrenner-Modellen, die auf den Nettuno V6 setzen, der bereits fertig entwickelt bei den Italienern einsatzbereit ist. Trotzdem ist der Folgore preislich ziemlich genau in der Mitte zwischen den beiden Verbrenner-Modellen Modena und Trofeo platziert. Der Testwagen ist mit rund 227’000 Franken angeschrieben – sehr viel Geld, aber bei Maserati darüber zu jammern ist, als ob man sich bei Gucci über den Preis eines Anzugs beschweren würde.
Ich meinerseits kann mich nur über die lahme DC-Ladung im Test beschweren, ansonsten empfinde ich es als sehr bemerkenswert, dass Maserati als vergleichsweise neuer Player im Bereich der Elektromobilität nicht nur ein tolles Elektroauto, sondern auch einen scharfen Sportwagen rausgehauen hat, der problemlos und unkompliziert im Alltag funktioniert. Die Frage ist daher nicht, ob es der Granturismo sein soll, sondern ob man die neue Maserati-Ära einleitet, oder noch ein letztes Mal den Verbrenner zelebriert.
Alltag
Für zwei Personen ist der Platz auch für eine lange Reise ausreichend; zu viert haltet man es auf kürzeren Trips gut aus. Ein Lift-System verhindert unschöne Schäden an der Front und die Übersicht ist für einen Sportwagen bemerkenswert gut. Mühsam ist aber der riesige Wendekreis.
Fahrdynamik
Mal abgesehen vom immensen Gewicht ist der Granturismo trotz Komfort-Attitüden in den entsprechenden Fahrmodi ein echter Sportwagen. Der Schub zwingt beinahe zu Atempausen und das Handling ist messerscharf und hochpräzise. Auch die Bremse punktet mit Ausdauer und exzellentem Pedalgefühl.
Umwelt
Trotz monströser Leistung lässt sich der Granturismo Folgore sparsam fahren, was man von den Verbrenner-Varianten nicht wirklich behaupten kann. 23,6 kWh/100 km trotz Beschleunigungseskapaden sind jedenfalls ein ansehnlicher Wert.
Ausstrahlung
Der grosse GT strahlt Ruhe, Erhabenheit und Klasse aus. Er wirkt nicht aggressiv oder biestig, sondern elegant und schnell. Das Design ist ausserdem zeitlos und wird sehr gut altern.
Fazit
+ Elegantes, zeitloses Design
+ Edle Materialien, exzellente Verarbeitungsqualität
+ Perfekte Ergonomie, tiefe Sitzposition
+ Einfache Bedienung
+ Für kürzere Strecken ausreichend Platz auf der Rückbank
+ Sehr niedriger Geräuschpegel
+ Gute Übersicht
+ Brachiales Ansprechverhalten
+ Dreistufiges ESP
+ Irrer, aufbauender Schub
+ Sehr hohe Höchstgeschwindigkeit
+ Trotz extremer Leistung kaum ESP-Eingriffe bei forciertem Fahrstil
+ Grip ohne Ende, leicht hecklastiges aber super kontrollierbares Handling
+ Zuverlässige Assistenzsysteme
+ Schnelle Aufladung
– Hoher Preis
– Reichweite eher knapp
– Infotainmentsystem dürfte eigenständiger sein
– Keine automatische Rekuperation
– Sperriger Wendekreis
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Maserati Granturismo Folgore |
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Preis Basismodell / Testwagen | 222 300 CHF / 227 748 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | 92,5 kWh (brutto) / 83 kWh (netto) |
Max. Leistung | 560 kW (mit Boost kurzzeitig 610 kW) |
Max. Drehmoment | 1350 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 2,7 s |
Vmax | 325 km/h |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 22,1 kWh/100 km / B |
Test-Verbrauch / Differenz | 23,6 kWh/100 km / + 7% |
WLTP-Reichweite | 450 km |
Ø Test-Reichweite | 325 km |
Max. Ladeleistung (DC) | 270 kW |
Länge / Breite / Höhe | 4,96 m / 1,96 m / 1,35 m |
Leergewicht | 2335 kg |
Kofferraumvolumen | 270 l |
Bilder: Koray Dollenmeier